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Das Erbe des Loewen

Titel: Das Erbe des Loewen
Autoren: Suzanne Barclay
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Das Gebüsch teilte sich, und ein Hengst erschien auf der Lichtung. Schwarz wie die Nacht, die ihn umgab, blieb er auf ein stummes Kommando seines Reiters stehen. Sein Atem dampfte aus den Nüstern wie Rauch aus dem Maul eines Drachen. Laurels Blick schweifte von den behandschuhten Händen, die die Zügel hielten, zu dem Mann, dem sie gehörten. Er war groß und kräftig, eine schimmernde Rüstung barg seine breiten Schultern und die Brust.
    „Wer bist du?“ flüsterte sie.
    Wenn er sie gehört hatte, so antwortete er nicht, sondern hob nur sein Visier und blickte auf Edin Tower. Das bleiche Licht
    des Mondes erhellte seine Züge.
    Heilige Jungfrau! Er war es! Der Mann, der sie seit Monaten in ihren Träumen verfolgte. Bisher hatte sie ihn nur aus der Ferne gesehen, hoch zu Ross auf einem blutigen Schlachtfeld, sturmumtobt am Bug eines Schiffes auf hoher See. Und nun war er gekommen.
    „Wer bist du?“ fragte sie wieder, und Angst schwang in ihrer Stimme mit.
    Er wandte ihr sein Gesicht zu, das von dichtem, schwarzem Haar umrahmt wurde. Aber es waren seine Augen, die sie fesselten. Kalt und dunkel, doch leuchtend wie violette Edelsteine. In ihnen schimmerte eine Gier, die gefährlicher schien als der blinkende Stahl an seiner Seite.
    „Warum bist du gekommen? Was willst du?“
    „Alles“, antwortete er, und ein gefährlicher Unterton schwang in seiner Stimme mit. „Alles, was du bist und sein wirst. “
    Edin. Er musste Edin und ihren Clan meinen, denn ihr Heim und ihre Familie bedeuteten ihr alles. Sie wich einen Schritt zurück, dann noch einen. Dann wandte sie sich um und rannte davon.
    Er kam ihr nach, und der Waldboden dröhnte unter den schweren Hufschlägen seines Streitrosses.
    „Nein!“ schrie Laurel und fuhr hoch. Es dauerte eine Weile, bis sie sich bewusst wurde, dass sie sicher in ihrem eigenen Bett lag. Zitternd, die Haut schweißbedeckt unter ihrem leinenen Hemd, verschränkte sie die Arme über der Brust und suchte ihren rasenden Puls zu beruhigen.
    „Es war nur ein Traum.“ Der Gedanke konnte sie jedoch nicht beruhigen. Es war nicht bloß ein Albtraum gewesen. Auch wenn sie ihr Schicksal verfluchte, waren die Visionen, die ihren Schlaf störten, doch tiefer und bedeutungsvoller. Sie waren ein Omen, ein Blick in die Zukunft, die sie indes nicht deuten noch verhindern konnte.
    Ein Schauder kroch über Laurels Rücken. Als der Ritter sie mit finsterem Blick angesehen hatte, spürte sie ... Entsetzen. Eine Verbundenheit, die sie noch nie für jemanden empfunden hatte, nicht einmal für ihre Tante Nesta, die Seherin war. Wer war dieser Ritter?
    „Mylady? Ist Euch etwas geschehen?“ Annie MacLellan mit ihrem runden, sommersprossigen Gesicht spähte besorgt durch den Türspalt.
    „Ich ... es geht mir gut“, zwang sich Laurel zu antworten.
    Annie runzelte die Stirn. „Ich hörte Euch schreien.“
    „Ich hatte einen Traum.“
    „Erzählt.“ Annie kicherte. „Was war es denn? Die nächste Dürre?“
    „Ich dachte, ihr wäret alle froh darüber, dass wir einen feuchten Frühling hatten statt der Dürre, die ich voraussagte. “
    „Oh, das waren wir auch, doch ich glaubte, Ihr hättet das Wahrsagen aufgegeben.“
    Laurel hatte aufgehört, anderen von ihren Träumen zu erzählen. Es war zu demütigend. Sie war wahrhaftig eine Schande für ihre Vorfahren - Generationen von Frauen der MacLellans, die fähig waren, in die Zukunft zu blicken. Hellsehen, bah! Im Nachhinein konnte sie vielleicht ein Körnchen Wahrheit in ihren Visionen finden, die mit dem Geschehenen zusammenhingen. Das war indes kein Trost. Von ihrer nächsten Seherin konnten die Menschen wohl mehr erwarten.
    Wenn sie das zweite Gesicht hätte wie ihre Tante Nesta, dann könnte sie ihre Visionen auch besser deuten. Doch Laurels kurze Blicke in die Zukunft kamen in ihren Träumen, ungewollt, schwer zu deuten, und somit war es auch besser, sie zu vergessen. Doch sie konnte bei dem Gedanken an den Fremden mit den veilchenblauen Augen, die so besitzergreifend auf sie geblickt hatten, einen Schauer nicht unterdrücken.
    „Ihr zittert ja wie ein neugeborenes Schäfchen. Schüttelt Euch das Fieber?“ Annie schloss die Tür hinter sich und trat näher. „Kein Wunder, da Ihr wieder die halbe Nacht auf den Beinen wart und mit den Männern über die Hügel geritten seid.“ Sie hob das Schaffell vom Boden auf und wickelte Laurel darin ein, wie sie es von ihrer Mutter Janet gelernt hatte, die als Beschließerin in Edin diente. „Es
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