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Das Gesetz Der Woelfe

Titel: Das Gesetz Der Woelfe
Autoren: Veronika Rusch
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Lombardi?«, fragte sie unvermittelt.
    »Klar kenne ich sie, sie ist unten in San Sebastiano, warum?«
    Francesca deutete zum Fenster hinaus, als läge die Gasse direkt vor ihren Augen. »Dort wohnt die Familie Barletta.«
    »Ja, und?«, fragte Giuseppina. Sie war jetzt ernsthaft besorgt um ihre Mutter. Sollte sie einen Arzt holen? Oder lieber auf ihren Vater warten?
    Francesca fuhr fort: »Gaetano Barletta ist der Sohn von Rocco Barletta, der wiederum hat eine Schwester, die den Cousin von Orazio Sant’Angelo geheiratet hat. Seitdem glauben die Barlettas, sie wären etwas Besseres als wir, was Besseres als dein Vater, der es zu nicht mehr als zum Handlanger für ihn gebracht hat und trotzdem meinte, seinen Sohn wegen der verlorenen Ehre verstoßen zu müssen.«
    Giuseppina zuckte zusammen. So kannte sie ihre duldsame, unterwürfige Mutter gar nicht. Sie wollte das alles nicht hören. Es machte ihr Angst. »Warum erzählst du mir das?«, fragte sie unbehaglich und wandte sich zum Gehen. Sie wünschte sich zurück zu ihrem Auto, hinunter in ihre kleine Wohnung in dem Neubauviertel, wo sie mit Massimo, dem Vater ihres Kindes, zusammenlebte. Sie wollte weg von Wörtern wie Ehre und verstoßen, die nach Blut und Hass und Dunkelheit rochen und nichts mit ihr zu tun hatten.
    »Weil Gaetano Barletta deinen Bruder ermordet hat«, sagte Francesca, den Blick unverwandt auf die rote Sonne in der Ferne gerichtet.
    »Ermordet?« Giuseppina starrte ihre Mutter entgeistert an. »Was redest du denn da? Er ist an einer Überdosis Rauschgift gestorben, er war drogensüchtig, Mama! Verstehst du das? Ein Fixer!«
    Francesca wandte den Blick von dem feurigen Ball über dem fernen Meer ab und sah ihre Tochter an, wollte widersprechen, wollte erklären, ihr alles sagen, was sie heute in dem Brief der deutschen Anwältin gelesen und letztlich schon gewusst hatte, aber sie hielt den Mund. Aus dem Blick ihrer Tochter sprach eine verzweifelte Bitte. Eine Bitte um eine Wahrheit, mit der sie leben konnte. Mit ihrer Wahrheit würde sie nicht leben können. Noch nicht, vielleicht nie. Francesca dachte an die unbekannte Mutter von Filippo de Caprisi, die mit den Sternenaugen, die eines Tages einfach verschwunden war, sich in Luft aufgelöst hatte, so wie Enzo Gamba, der alte Hausmeister des Rathauses von San Sebastiano, den man nie gefunden hatte, weil sie ihn irgendwo verscharrt oder auch in Säure aufgelöst und in den Abfluss gegossen hatten. Lupara bianca nannte man das. Angelo konnte wenigstens begraben werden. Sie strich Giuseppina eine Haarsträhne aus dem Gesicht und streichelte mit dem Handrücken über ihre Wange. »Fahr heim, Giuseppina, Sara ist müde, und Massimo wartet sicher schon auf dich.«
     
    Später, spät am Abend, als Natale längst schlief und Salvatore neben einer leeren Flasche Wein vor dem Fernseher eingedöst war, schlüpfte Francesca in ihre dünnen Schuhe und zog sich ihre Strickjacke über. Leise schlich sie sich hinaus und schloss die Tür. Die Nacht war sternenklar, und über der Bergkuppe hing ein strahlender goldgelber Mond. Der Wind von heute Morgen hatte sich gelegt. Francesca ging die stille Straße hinunter, vorbei an den Häusern ihrer Nachbarn, über die Kreuzung, wo die Straße nach San Sebastiano abzweigte. Als sie sich der Bar näherte, zögerte sie einen Augenblick. Doch ihre Sorge war unbegründet. Nur noch wenige Köpfe waren hinter den trüben Scheiben zu sehen. Niemand saß auf den Stühlen vor dem Lokal. Sie wechselte trotzdem die Straßenseite und ging schnell an den Fenstern vorbei, die große, leuchtende Vierecke auf das Pflaster warfen. Am Ortseingang, an dem Vorsprung, wo das Kruzifix stand, an dem heute Morgen Sergente Barbabietola in Vorbereitung seines Besuches eine Zigarette geraucht hatte, blieb Francesca stehen. Hier draußen war es kalt trotz des milden Abends. Sie ging vor bis zur Kante und schaute hinunter in die Dunkelheit. Dort, weit unterhalb, auf der anderen Seite der Schlucht direkt gegenüber der Altstadt, stand die Villa von Orazio Sant’Angelo, der weißen Katze , dem Paten von San Sebastiano. Er saß dort wie die Spinne im Netz, wusste über alles Bescheid, hatte sie alle in der Hand.
     
    Sie würde den Tag, an dem sie ihm zum ersten Mal begegnet war, nie vergessen. Es war der Tag von Angelos Taufe gewesen, dem Ältesten ihrer drei Kinder, der jetzt dort oben, weit weg, im Norden gestorben war, und der nicht einmal hier begraben werden würde, wenn es sich sein Vater nicht
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