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Das Gesetz Der Woelfe

Titel: Das Gesetz Der Woelfe
Autoren: Veronika Rusch
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noch anders überlegte.
    Francesca hatte versucht, sich besonders hübsch zu machen an diesem Tag. Sie konnte sich noch gut an die billige Plastikspange erinnern, mit der sie ihr Haar aufgesteckt hatte, und die kleinen goldenen Ohrringe, ein Geschenk zu ihrer Hochzeit. Nur die dunklen Schatten unter ihren Augen, die hatte sie nicht entfernen können.
    Er hatte die Tür geöffnet, ohne anzuklopfen. Der Raum war voller Menschen. Wein und Grappa standen auf dem Tisch, der mit einer weißen Spitzendecke gedeckt war. Babywäsche lag darauf, und in der Mitte stand eine Vase mit einem Strauß rosa Nelken. Als der Mann mit den auffallenden blonden Haaren eintrat, verstummten die Gespräche. Blicke senkten sich, Kinder wurden beiseite gezogen. Er sprach kein Wort, sein Blick wanderte zu ihr, sie saß hinter dem Tisch auf einem Stuhl und hielt das neugeborene Baby im Arm. Sie war damals mager, noch dünner als heute, und ihre Arme standen spitz aus den kurzen Ärmeln des Kleides, das sie trug, hervor. Sie bot ihm zögernd den Stuhl zu ihrer Rechten. Ohne ihn anzublicken, schenkte sie ihm ein Glas Wein ein, das er jedoch nicht anrührte. Er wartete. Es dauerte eine ganze Weile, bis etwas geschah. Die übrigen Besucher waren vollständig verstummt. Es war, als befänden sie sich mit dem Kind in ihrem Arm allein mit dem blonden Mann im Raum. Keiner wagte, sich zu bewegen, um nicht auf sich aufmerksam zu machen. Schließlich, wie nach einer Ewigkeit, hatte sie geschlagen den Kopf gesenkt und ihm das Baby gereicht, damit er die Taufe, die wahre Taufe, wie man es nannte, vollziehen konnte. Er nahm das Neugeborene lächelnd wie ein guter Onkel entgegen und kitzelte es am Kinn. Dann zog er aus seiner Jackentasche eine kleine Schere und begann vorsichtig, dem schlafenden Kind die Fingernägel zu schneiden. Damit war es besiegelt. Sie wusste es, als sie das Baby wieder in Empfang nahm und auf die winzigen Händchen schaute, die zu Fäusten geballt neben seinen Ohren lagen. Es würde immer so weitergehen, es würde niemals enden. Angelos Schicksal war von diesem Moment an vorherbestimmt gewesen, bis zum heutigen Tag, bis zu seinem Tod.
     
    Francesca stand am Abgrund und starrte hinunter in die Finsternis. Sie weinte nicht mehr, obwohl sie es gerne getan hätte. Doch die Tränen wollten nicht kommen. Sie war leer, es waren keine Tränen mehr übrig. Langsam wandte sie sich ab. Eine Katze lief an ihr vorbei, und sie bemerkte es kaum. Doch dann ließ sie etwas innehalten und sich umdrehen. Die Katze war ebenfalls stehen geblieben. Dünn und mit großen Augen, in denen sich das Licht der Straßenlaterne spiegelte, stand sie dort, unter dem Kruzifix und starrte Francesca an. Jetzt sah sie auch, was ihr unbewusst aufgefallen war: Das Fell der Katze war weiß. Zwar schmutzig und struppig, aber unverkennbar weiß. Sie ging einen vorsichtigen Schritt auf das Tier zu, das sie, fluchtbereit und mit zitternden Flanken, angstvoll ansah. In dem Moment, in dem sie das Weite suchen wollte, griff Francesca zu, ohne wirklich zu begreifen, was sie da tat. Die Katze war halb verhungert, und Francescas Finger schlossen sich mühelos um ihren Hals. Sie sah wieder den Mann vor sich mit den blonden Haaren und dem ungerührten, kalten Blick, wie er ihrem neugeborenen Sohn die winzigen Fingernägel schnitt. Sie sah ihren eigenen Mann, wie er in jenen Nächten, in denen er spät von seinen Aufträgen heimkam, stumm auf sie einschlug, systematisch, als hätte er eine Puppe vor sich, einen Ledersack. Und sich selbst, wie sie sich jeden Schmerzenslaut verkniff, alles mit sich geschehen ließ, was er mit ihr machte, um die Kinder nicht zu wecken. Ihre Hände drückten wie von selbst immer weiter zu, sie spürte den kleinen Kehlkopf des Tieres, das sich jetzt mit verzweifelter, letzter Kraft zu wehren begann. Francesca spürte, wie die Krallen ihre Unterarme zerkratzten, sich in dem dünnen Stoff ihres Kleides und in den Fäden der Strickjacke verhedderten, doch es berührte sie nicht. Sie schloss ihre Hände noch enger um den dünnen Hals, und als das Tier nicht aufhörte, sich zu wehren, drehte sie die Hände gegeneinander, mit kurzen, heftigen Bewegungen. Ein hässliches Knacken, und der Körper erschlaffte augenblicklich. Wie ihn Trance setzte sie sich in Bewegung, die tote Katze wie ein grauweißes Bündel in ihrer Hand.
    Filippo saß an seinem Stand, wie er den ganzen Tag schon ausgeharrt hatte. Niemand sah ihn an. Die Menschen standen abgewandt von seinen
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