Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Gesetz Der Woelfe

Titel: Das Gesetz Der Woelfe
Autoren: Veronika Rusch
Vom Netzwerk:
bedrohliche Masse, richtete ihre Augen auf Einzelne, saugte sich in deren Gesichtern fest, bis sie die Blicke senkten. »Viele von euch kennen mich«, begann sie plötzlich, und ihre Stimme war zittrig. Es wurde totenstill. Sie deutete hinter sich auf Angelos Bild. »Das ist mein Sohn. Er ist vor paar Tagen gestorben.« Ein Raunen ging durch die Menge. Das war neu. Niemand hatte bis jetzt davon gewusst. Francesca holte tief Luft und fuhr fort: »Er wurde ermordet. Von Gaetano Barletta.« Ein erregtes Gemurmel brach los, doch die Frau reagierte nicht darauf. Sie sprach einfach weiter, leise, und die Leute mussten schweigen, um sie verstehen zu können. »Mein Sohn sollte diesen Jungen töten, aber er hat es nicht getan. Ich bin stolz auf ihn.« Ihre Stimme erstarb so abrupt, als habe man den Ton abgedreht. Sie fühlte sich sterbensschwach, als würde sie langsam verschwinden, sich vor aller Augen in Rauch auflösen. Mit letzter Kraft hob sie den Arm und warf die tote Katze den Menschen vor die Füße.
    Sie wichen zurück. Ein Laut ging durch die Menge wie das Ächzen eines alten Baumes, kurz bevor der Wind ihn fällt. Dann war wieder Stille. Alle starrten die kleine Frau in der dünnen Strickjacke an, die dort stand, blass und fern wie ein Geist. Sie stand neben Filippo, der mit vorgerecktem Kinn und den Augen seiner Großmutter in die gesichtslose Menge sah. Chiara, das Mädchen aus dem »Borgo rosato«, stand ein wenig hinter ihm. Kerzengerade auch sie, aber man konnte den Schrecken in ihrem Gesicht sehen.
    Plötzlich löste sich eine Frau aus der Gruppe der Zuschauer und ging auf Filippo zu. Die Menschen, die sie erkannten, hielten den Atem an. Es war eine dicke Frau mittleren Alters mit blondgefärbten Haaren und einem schwarzen Kleid. Ihr Name war Rosalia Gamba, und sie war die Ehefrau des im letzten Jahr spurlos verschwundenen Hausmeisters der Gemeinde. Langsam trat sie in das Scheinwerferlicht, nickte Filippo zu und stellte sich neben Francesca Malafonte, die breiten Füße in ausgetretenen Sandalen ordentlich nebeneinander, die Hände wie zum Gebet verschränkt.
    Jemand hustete, und es war, als zuckten die Menschen bei diesem Geräusch zusammen.
    Dann trat die rothaarige Lara dalla Pietra vor, deren Sohn vor zwei Jahren erschossen worden war, und Concetta Sedàra folgte ihr. Ihre Familie, die ein Bauunternehmen besaß, wurde bereits seit vielen Jahren im Namen der weißen Katze bedrängt, erpresst und eingeschüchtert. Und dann, nach einigen Minuten, die wie eine zähe klebrige Masse vertropften, kamen Irene Pozzuoli, Annalisa Bielli, Eugenia Mazza …
     
    Clara hielt die Postkarte in ihren Händen wie einen Schatz aus einer anderen Welt. Das Meer war darauf zu sehen, tiefblau mit smaragdgrün leuchtenden Stellen, eine steinige Küste und ganz am Rand der Karte ein dünner Streifen Sandstrand. Mitten im tiefblauen Meer, zwischen Wasser und Horizont, ein weißes Segelboot. Sie drehte die Karte behutsam zwischen ihren Fingern, betrachtete die Briefmarke, stellte sich vor, wie die unbekannte Frau sie gekauft und daraufgeklebt hatte. Der Poststempel war eine Woche alt. Was mochte seither geschehen sein?
    Der kalte Wind rüttelte an Claras Haaren und fuhr ihr unter den dünnen Pullover. Sie schauderte, nahm die restliche Post aus dem Briefkasten und beeilte sich, wieder ins Haus zu kommen. Mit ihren dicken Socken nur notdürftig in ein paar Schuhe geschlüpft, lief sie unbeholfen die Treppe hinauf zu ihrer Wohnung. Dort, am Küchentisch, eine große Tasse heißen Tee in der Hand, las sie die Karte noch einmal.
    » Signora !«, begann die Mitteilung aus einer fernen Welt. » Ich danke Gott und allen Heiligen für Ihren Brief. Ich muss Ihnen auch was schreiben, auch wenn ich das noch nie getan habe. Wir stehen alle auf dem Marktplatz, bei dem de-Caprisi-Jungen, den mein Angelo damals entführt und wieder freigelassen hat, weshalb er sterben musste. Die dalla Pietra und die alte Eugenia Mazza und sogar Rosalia Gamba, und es kommen jeden Tag ein paar dazu. Die Männer kommen nicht, natürlich nicht, aber die können uns nichts sagen, denn wir bleiben einfach stehen. So lange wie es geht. Ich wollte, dass Sie das wissen, Signora. Gott segne Sie! Ihre ergebene Francesca Aquafredda aus Torre Calo. «
    Gerührt las Clara die wenigen Zeilen in gestochen scharfer, winziger Druckschrift, ein ums andere Mal. Angelos Mutter musste sich große Mühe gegeben haben, an den Seiten sah man noch Reste der Bleistiftlinien, die sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher