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Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman

Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman

Titel: Die erstaunlichen Talente der Audrey Flowers: Roman
Autoren: Jessica Grant
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    Teil eins
     
    ODDLY FLOWERS
     
    D as Flugzeug besteht aus einer Reihe goldener Kreise und dem Cockpit. Einer dieser Kreise wird meinen Kopf gleich heimwärts tragen. Ich zähle vierzehn Kreise ab. Der da. Die Piloten vorne im Cockpit sind ziemlich gut drauf. Sie lachen sich fast kaputt. Meine Herren, sie müssen sogar ihre Kaffeetassen abstellen. Der eine legt dem anderen die Hand auf die Schulter. Dann drückt er ihm einen Kuss auf die Wange. Einen flüchtigen, spontanen Schmatz.
    Eine Mitreisende tritt neben mich ans Fenster des Terminals. He, sage ich. Unsere Piloten haben sich gerade geküsst.
    Keine Reaktion.
    Ich glaube, dieser Kuss ist ein gutes Omen für unseren Flug.
    Sie tut so, als müsste sie dringend einen Pappbecher entsorgen.
    Das ist mein Flugzeug. Die Buchstaben am Heck bilden das Wörtchen NAP. Nickerchen . Wie finde ich denn das. Gar nicht gut.
    Mein Handy klingelt. Es ist Linda.
    Was gibt’s.
    Winnifred rührt sich nicht.
     
    Halte eine Schildkröte niemals für tot. Regel Nummer Eins für Schildkrötenbesitzer. Wie warm ist es in eurer Wohnung. Denk dran, es ist Winter. Und noch dunkel. Sie ist nicht nachtaktiv. Das und andere Umweltfaktoren haben sie vermutlich bewogen, sich in ihren Panzer zurückzuziehen. Ihr Herz schlägt etwa einmal stündlich. Hab Geduld. Warte einfach eine Stunde.
    Trotzdem kauere ich mich am Fenster zusammen. Spüre die Hitze, die aus dem Heizungsschlitz aufsteigt. Ist meine Schildkröte tot. Soll ich umkehren.
    Mir selber klopft das Herz wie wild. Pulsierendes Leben. Kennen Sie dieses Gefühl auch. Die Angst des Körpers vor dem nächsten Schlag. Nein. Ich schon. Ist der Nächste vielleicht der Letzte. Nein. Ist der Nächste der Letzte. Nein.
    Soll ich umkehren.
    Ich sehe zu den vermutlich verliebten Piloten hinüber und will dieses und nur dieses Flugzeug nehmen. Es ist mein Flugzeug.
     
    Gestern spähte ich in ihr Schloss, und sie saß neben dem Pool und hatte das Ziel, das sie seit zwei Tagen ansteuerte, noch immer nicht erreicht. Ich klopfte auf ihren Panzer. Hallo, Winnifred.
    Nichts zu sehen. Weder die Beine. Noch ihr kleiner alter Kopf.
    Ich hob sie hoch und klemmte sie mir unter die Achsel. Normalerweise genügt das. Ich habe zwar auch eine Wärmelampe, aber Schlösser aus Papier sind nun einmal leicht entflammbar.
    Schließlich wachte sie auf.
    Na also, sagte ich und setzte sie in den Pool.
    Ich kniete mich neben das Schloss mit den Fenstern, aus denen man in meine Küche schaut. Ich habe schon oft gesehen, wie Winnifred den Kopf wehmütig aus einem dieser Fenster streckt. Und wie eine Andeutung ein Salatblatt fallen lässt.
    Sie kletterte aus dem Pool und kroch schwerfällig zum Fenster.
    Ich muss für ein paar Tage nach Hause, sagte ich.

     
    Winnifred ist alt. Dreihundert, wenn nicht älter. Sie war schon da, als ich einzog. Mein Vormieter, ein Kletterer namens Cliff, wollte zu einer Klettertour aufbrechen, die Winnifred wahrscheinlich wenig Freude bereitet hätte. Damals hieß sie noch Iris. Cliff hatte Iris von seinem Vormieter geerbt. Niemand wusste, wie viele Jahre Iris auf dem Panzer hatte oder wer ihr ursprünglicher Besitzer war. Jetzt zog Cliff aus. Möchtest du eine Schildkröte, fragte er.
    Zu einer Schildkröte würde ich nicht Nein sagen, sagte ich.
    Ich war allein in Portland, und die Bäume waren riesig. Ich hob sie hoch, und sie blinzelte mich mit ihren schweren Lidern an. Sofort wurde ich seelenruhig. Ihre Augen waren zartbraun. Ihre Haut fühlte sich wie ein alter Ellenbogen an. Ich bau dir ein Schloss, flüsterte ich. Mit Pool. Und ich hielt Wort.
     
    K lemm sie dir unter die Achsel, sage ich zu Linda. Igitt.
    Nur keine Hemmungen.
    Ich lege auf.
    Das war unhöflich, aber es geht mir nicht besonders. Ich bin unausgeschlafen. Ich bin auf Autopilot. Wobei mir die beiden Piloten einfallen, bei denen das eindeutig anders ist. Was heißt eigentlich Autopilot. Ich stelle mir einen aufblasbaren Piloten vor, aber das habe ich aus einem Film. Ein Autopilot ist nichts weiter als ein Computer. Er fliegt die Maschine, wenn die Piloten ein Nickerchen machen oder knutschen. Er springt sozusagen automatisch an, wenn der eigene Dad im Komma, pardon, Koma liegt, man nach Hause gerufen wird und für die Unterbringung seiner Schildkröte sorgen muss.
    Als ich gestern Abend mit Winnifred in ihrem Schloss aus dem Haus kam, hing der Himmel voller Sterne.
    Guck mal, Win, sagte ich. Die Vergangenheit. Denn wenn man die Sterne betrachtet, blickt man in die
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