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Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Titel: Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund
Autoren: Patricia Highsmith
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[9]  1
    »Den perfekten Mord, den gibt es nicht«, sagte Tom zu Reeves. »Man kann sich einen ausdenken, aber das ist nur ein Gesellschaftsspiel. Natürlich kann man sagen, es gebe so viele ungelöste Mordfälle. Doch das ist etwas anderes.« Tom langweilte sich. Er ging vor dem großen Kamin auf und ab, in dem ein kleines Feuer anheimelnd prasselte. Daß er gespreizt und herablassend geklungen hatte, wußte er. Aber er konnte Reeves nun einmal nicht helfen und hatte ihm das auch schon gesagt.
    »Ja, klar«, erwiderte Reeves. Er saß in einem der gelbseidenen Sessel, den schlanken Körper vorgebeugt, die Hände zwischen den Knien verschränkt: ein ausgemergeltes Gesicht, kurzes, hellbraunes Haar und kalte, graue Augen – kein angenehmes Gesicht, aber es könnte gut aussehen, wäre da nicht die zehn Zentimeter lange Narbe, die sich von der rechten Schläfe über die Wange fast bis zu seinem Mund hinabzog. Die Narbe war etwas dunkler gerötet als sein Gesicht; sie wirkte wie eine schlecht oder gar nicht genähte Wunde. Tom hatte nie danach gefragt, aber Reeves hatte einmal von sich aus erklärt: »Das war ein Mädchen, mit ihrer Puderdose. Ist das zu glauben?« (Nicht für Tom.) Er hatte Tom ein kurzes, trauriges Lächeln geschenkt, eines der wenigen, an das sich Tom von ihm [10]  erinnern konnte. Und ein andermal: »Ein Pferd hat mich abgeworfen, hat mich ein paar Meter am Steigbügel mitgeschleift.« Das hatte Reeves jemand anderem erzählt, doch Tom war dabeigewesen. Tom tippte auf ein stumpfes Messer, bei irgendeinem heimtückischen Kampf.
    Reeves Minot wollte, daß Tom ihm jemanden nannte oder an die Hand lieferte, der einen oder zwei »einfache Morde« begehen konnte, dazu vielleicht noch einen Diebstahl, ebenfalls einfach und ungefährlich. Er war aus Hamburg nach Villeperce gekommen, um mit Tom darüber zu reden, wollte über Nacht bleiben, morgen in Paris mit noch jemandem sprechen und dann nach Hamburg zurückkehren, wo er wohnte und wo er wohl weiter nachdenken wollte, falls er nichts erreicht hatte. Reeves arbeitete vor allem als Hehler; in letzter Zeit hatte er sich aber in Hamburg in der Halbwelt des illegalen Glücksspiels versucht, und diese wollte er nun schützen. Vor wem? Vor schweren Jungs aus Italien, die ihren Teil vom Kuchen wollten. Reeves vermutete, daß der eine Hamburger Italiener ein Fußsoldat der Mafia war, der als Minenhund vorgeschickt wurde, der andere womöglich ebenfalls, wenn auch für eine andere Familie. Und er hoffte, einen Eindringling oder beide auszuschalten und dadurch die Mafia von weiteren Vorstößen abzuschrecken; außerdem wollte er die Hamburger Polizei auf die Mafia-Gefahr aufmerksam machen und alles weitere, das heißt die Verdrängung der Mafia aus der Stadt, ihr überlassen. »Diese Hamburger sind anständige Jungs«, hatte Reeves beteuert. »Kann sein, daß sie etwas Ungesetzliches tun, wenn sie ein paar private Clubs betreiben, aber die sind an sich nicht illegal, und ihre Gewinne halten sich [11]  in Grenzen. Nicht wie in Las Vegas, das durch und durch mafiaverseucht ist, direkt unter den Augen der amerikanischen Polizei!«
    Tom schob die Glut mit dem Schürhaken zusammen und legte ein sauber gespaltenes Holzscheit nach. Kurz vor sechs: bald Zeit für einen Drink. »Wie wär’s mit –«
    In diesem Moment kam Madame Annette, die Haushälterin der Ripleys, aus dem Flur herein, der zur Küche führte. » Pardon, Messieurs. Monsieur Tomme, hätten Sie jetzt gern Ihre Drinks, da der Herr doch keinen Tee wollte?«
    »Vielen Dank, Madame Annette. Gerade hatte ich daran gedacht. Und bitten Sie doch Madame Héloïse dazu, ja?« Sie sollte die Stimmung ein bißchen auflockern. Bevor Tom um drei Uhr nach Orly gefahren war, um Reeves abzuholen, hatte er zu Héloïse gesagt, Reeves habe etwas mit ihm zu bereden; deshalb hatte sie den ganzen Nachmittag über im Garten gearbeitet oder war oben geblieben.
    »Und Sie würden die Sache nicht selbst übernehmen?« drängte Reeves mit letzter Hoffnung. »Sehen Sie, da gäbe es keine Verbindung zu uns, genau das wollen wir, Sicherheit. Außerdem ist das Geld auch nicht schlecht: sechsundneunzigtausend Dollar.«
    Tom schüttelte den Kopf. »Aber mit Ihnen bin ich gewissermaßen verbunden.« Verdammt, er hatte einige unbedeutende Aufträge für Reeves Minot erledigt, zum Beispiel gestohlene Kleinigkeiten weitergeleitet oder winzige Gegenstände, wie etwa Mikrofilmrollen, aus Zahnpastatuben herausgeklaubt, die Reeves präpariert
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