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Das geschenkte Gesicht

Das geschenkte Gesicht

Titel: Das geschenkte Gesicht
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Ohren waren, hatte eine glühende, eiserne Faust mit einem Schlag alles zerstört. Eine formlose, breiige Masse war übriggeblieben, mit blonden Haaren darüber und einem Rumpf darunter in zerfetzter Uniform. Wie abgehobelt war das Gesicht, ein roter Teller mit einigen Löchern. Weiter nichts.
    »Er lebt …«, sagte Plotzke leise. »Er lebt wirklich noch …«
    »Es wäre besser, wenn …« Der Leutnant sprach den Satz nicht zu Ende. Unteroffizier Plotzke tastete nach einer Pistole. Er war gelb im Gesicht, er würgte nach Luft und zitterte wie im Fieber.
    »Lassen Sie das, Plotzke«, sagte der Leutnant leise. »Auch wenn es besser für ihn wäre …«
    »Er … er ist doch kein Mensch mehr …«, stammelte Plotzke.
    Der Leutnant deutete auf Schwabe:
    »Seht ihn euch genau an! Das ist das Gesicht des Krieges … so sieht es aus, das Heldentum, dessen Lieder man uns in der Schule mit ergriffener, bebender Stimme lehrte! Seht es euch an!«
    Dann wandte er sich ab und ging langsam zu seinem Schlitten zurück. Die jungen Soldaten hoben den Körper Schwabes auf und trugen ihn vorsichtig zum zweiten Schlitten. Dort legte ein Sanitätsgefreiter einige Lagen Zellstoff auf die blutige Masse und wickelte vier Papierbinden um den Kopf.
    Plotzke war zurückgeblieben. Er beugte sich über den zerfetzten Schlitten und würgte erneut. Endlich erbrach er sich, und gleichzeitig mit dem Kotzen spürte er die Erleichterung, weinen zu können.
    »Wo bin ich?« fragte Erich Schwabe.
    Wenigstens war es ihm, als ob er das fragte. Der Gedanke war da, und er hörte sogar seine Stimme. Aber der Sani, der neben seinem Bett saß, hörte nur ein Lallen, ein unartikuliertes Stöhnen, ein Zischen und Röcheln aus den Falten des Verbandes. An Form und Körperlage wußte man, daß es ein Kopf war. Ein dünnes Röhrchen, eine Sonde, stak mitten in den durchbluteten Mullbinden. Dort muß der Mund drunter sein, dachte der Sani. Eine große Höhle, in der verwunderlicherweise ein Stückchen bewegliches Fleisch liegt, die Zunge. Sie hat er behalten dürfen neben den Augen.
    Schwabe öffnete die Lider. Die Verbände drückten auf die Augen, und die Dunkelheit um ihn blieb, auch als er wußte: Jetzt habe ich die Augen auf. Er hob die Hand und wollte nach seinem Kopf tasten, aber eine andere Hand hielt sie plötzlich fest und drückte sie zurück auf die Bettdecke.
    »Was ist mit mir?« fragte Schwabe etwas lauter. »Bin ich blind? Jungs … sagt mir doch, was mit mir los ist …«
    Der Sanitäter hörte wieder das Zischen und Röcheln durch die Verbände. Er beugte sich über den Kopf und sagte ganz langsam und klar:
    »Du bist jetzt in Suwalki, Kamerad. Im Lazarett. In Sicherheit. Mit einer Mine bist du hochgegangen. Und Glück haste gehabt … brauchst dir keine Sorgen zu machen. Die Augen sind noch da, die Zunge und auch sonst noch manches. Nur 'n paar Schrammen über die ganze Fresse … das heilt bald. Allerdings mußte noch ein paar Tage im Dunkeln liegen. Und in die Heimat kommste auch. Wir warten nur auf den nächsten Lazarettzug! Wenn der Iwan wieder wild wird, biste längst bei Muttern …« Der Sanitäter schwieg und wartete auf ein neues Wimmern aus den Verbänden. Als nichts kam, faßte er den Puls Schwabes und beugte sich über den unförmigen Kopf.
    »Haste mich verstanden, Kamerad?«
    Schwabe nickte schwach. Er tastete mit der rechten Hand nach seinem linken Handgelenk. Seine Uhr war noch da. Dann wollte er wieder nach oben greifen an seinen Kopf, aber wieder wurde er festgehalten.
    »Ruhig halten«, sagte der Sani. »Du hast den ganzen Kopf verbunden, weiter nichts.«
    Schwabe nickte wieder. Er legte die Hände seitlich an den Körper und dachte nach. Wie war das … auf der Straße eine in das Eis eingegossene Partisanenmine, die Jungen springen ab, als er Fliegeralarm schreit, er bleibt hängen an dem verfluchten Bremspedal, und dann kracht es. Und nun lebt er noch, was wirklich wie ein Wunder ist.
    Aber das Gesicht … sein Gesicht … Was ist mit seinem Gesicht …?
    Er hörte, wie eine Tür klappte. Schritte kamen an sein Bett. Keine mit Nägeln beschlagenen Kommißstiefel, sondern ein knarrender, weicher Schritt. Offiziersstiefel, dachte Schwabe. Ein Stabsarzt oder sonst wer. Er lag ganz still, bewegungslos, mit schlaffen Händen. Sein Gesicht brannte plötzlich, als läge es in einer Pfanne.
    »Wie geht's dem Mann?« Eine dunkle Stimme fragte so.
    »Gut, Herr Stabsarzt«, sagte der Sanitäter. »Er hat vorhin das Bewußtsein
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