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Das geschenkte Gesicht

Das geschenkte Gesicht

Titel: Das geschenkte Gesicht
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Sanitätskraftwagen um.
    »Wir sind da«, sagte die junge Schwester Erna zu Erich Schwabe, als der Zug hielt und der 2. Transportarzt durch die Gänge rannte und »Fertigmachen zum Ausladen!« brüllte. Der Zug-U.v.D. schnauzte die gehfähigen Verwundeten an, weil sie noch nicht angezogen waren oder die letzte Büchse Rindfleisch fraßen. Man wußte nie, wo man hinkam und wie das Essen im Lazarett war. Was man in sich hat, ist gut verwertet. Alte Hasen, die schon mehrere Verwundungen hinter sich hatten und aus Erfahrungen schöpften, hatten aufklärend gewirkt und verbreitet, daß die beste Verpflegung anerkannterweise im Lazarettzug war.
    »Nischt zurücklassen!« sagte ein dicker Stabsgefreiter und stopfte Brot, Wurst und Käse auf einmal in den Mund. »So gut kriegste's nie wieder …«
    »Wir sind da«, wiederholte Schwester Erna und streichelte Erich Schwabe die auf der Brust gefalteten Hände. »Hier sind die besten Chirurgen Deutschlands. Die bekommen Sie wieder hin … glauben Sie es mir …«
    Auf der Straße brummten die Sankas heran. Der U.v.D. rannte von Wagen zu Wagen und kontrollierte die Klosetts. Zweimal war es vorgekommen, daß sich jemand dort versteckte und mit dem Lazarettzug zurückfuhr, nur des Essens wegen.
    Erich Schwabe lauschte auf die Geräusche. Er hörte Stimmen vor dem Fenster, er hörte das Poltern und Knirschen der aus dem Zug geschobenen Tragen, Kommandos flatterten zu ihm hin, einige Flüche, ein plötzliches Lachen und die Stimme eines Bayern: »Mei Haxn is koa Glander, du Hirsch!«
    Schwester Erna legte ihre Hand an den Hals Schwabes, dort, wo der Verband aufhörte. Sie spürte an dem Pulsieren der Halsschlagader, wie aufgeregt Schwabe war. Sein Herz flatterte.
    »Kopf hoch«, sagte sie fast zärtlich und zwang sich, nicht daran zu denken, wie dieser arme, hilflose Mensch unter dem Verband aussehen mochte. »Es dauert vielleicht gar nicht so lange. Was man heute alles kann in der Chirurgie … Sie werden staunen. Und die Hauptsache ist ja, daß Sie leben …«
    Erich Schwabe nickte. Es war das Nicken eines großen, weißen Bindenkloßes auf zwei breiten Schultern und einem dünnen Hals.
    Ich lebe, dachte er. Aber wie lebe ich! Keiner wird mich mehr ansehen können, ohne zu schaudern, ohne sich zwingen zu müssen, nicht entsetzt wegzulaufen. Und keine Frau wird es mehr geben, die mich lieben kann, die dieses Scheusal von Mensch in die Arme nimmt und streichelt. Auch Ursula nicht … nein, auch sie nicht …
    »Ich danke Ihnen, Schwester«, sagte er. Da sie ihn nicht verstand, nahm er ihre Hand und drückte sie und führte sie dahin, wo früher sein Mund gewesen war und jetzt eine Kanüle aus den Verbänden ragte.
    An dem Zittern der Hand merkte er, wie mühsam Schwester Erna ihr Grauen bezwang. Da ließ er sie los und drehte den Kopf zur Seite.
    So lud man ihn aus und fuhr ihn nach Schloß Bernegg, und keiner achtete darauf, wie heftig seine Brust zuckte.
    Oberstabsarzt Professor Dr. Walter Rusch, der Chefarzt der Gesichtsversehrtenklinik Bernegg, wartete im kleinen OP, dem allgemeinen Verbandsraum, auf das Eintreffen der ersten Sankas. Er saß vor einem weißlackierten Tisch und sah hinüber zu den Waschbecken. Dort stand eine Frau in einem langen, weißen Arztkittel, hatte die Ärmel hochgerollt und seifte sich die Hände und die Unterarme gründlich ein. Ihr schwarzes lockiges Haar hatte sie hochgesteckt und in ein halbsteriles Dreieckstuch eingebunden. Wenn es nötig war, nachher zu operieren, würde sie einfach die weiße OP-Mütze überstülpen. Nur an den Augen und dem schmalen südländischen Gesicht würde man dann sehen können, daß es eine Frau war, mit dem Profil einer florentinischen Renaissancefürstin.
    Dr. Lisa Stephanie Mainetti hielt die Unterarme unter den warmen Wasserstrahl und ließ den Seifenschaum über ihre langen schmalen Hände in das Becken spülen. Dabei wandte sie den Kopf zu Professor Rusch um, und ihre Blicke trafen sich. Ein leichtes Lächeln glitt über das bräunliche Gesicht der Ärztin.
    »Warum siehst du mich so an?« fragte sie und schüttelte den letzten Schaum von den Armen.
    »Ich versuche zu ergründen, was du jetzt denkst.« Die Stimme Ruschs war tief und melodisch. Wer sie zum erstenmal hörte, war fasziniert von dem Wohlklang. Später aber, wenn der erste Eindruck wich, hörte man einen Unterton heraus, einen Sarkasmus, eine Bitternis, die sich hinter Burschikosität und oft auch Kaltschnäuzigkeit versteckte.
    »Ich denke, daß in
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