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Das geschenkte Gesicht

Das geschenkte Gesicht

Titel: Das geschenkte Gesicht
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Segels glitt über deinen Leib. »Noch vier Tage haben wir«, sagtest du. »Du mußt mich lieben, daß es für zwölf Monate reicht.« Bis zur Nacht blieben wir draußen im Boot, und von Heringsdorf schickten sie uns ein Motorboot entgegen, weil sie dachten, wir seien verunglückt.
    Und später … beim dritten Urlaub … wir lagen im Keller aneinandergepreßt in dem hölzernen Luftschutzbett, und über uns warfen 1.500 britische Bomber ihre Luftminen ab. Und der Wehrmachtsbericht schrieb: »Schwache britische Bomberverbände griffen in der Nacht die Stadt an. Es entstand leichter Sachschaden …« Damals hast du dich an mich geklammert, wenn die Bomben ganz dicht neben unserem Keller die Häuser zerfetzten, und je näher das Dröhnen der Motoren kam, umso fester habe ich dich in den Arm genommen. Wenn wir sterben müssen, wollen wir miteinander sterben, hast du gesagt.
    Und während der Boden zitterte, hast du mein Gesicht gestreichelt und gesagt: Du bist das Schönste für mich. Ich liebe dich. Ich liebe dein Gesicht. Deine Stirn. Deine Augen. Deinen Mund.
    Und nun habe ich kein Gesicht mehr! Ursula …
    Er schreckte auf. Der Sanitäter hatte ihm die schmerzstillende Spritze gegeben. Schwabe spürte den Nadelstich und das Eindringen der Flüssigkeit in seinen Körper. Es war Eukodal. Er wußte es nicht, aber nach kurzer Zeit schwanden die brennenden Schmerzen im Gesicht, es war ihm, als würde er schwerelos oder der Sanitäter trage ihn umher wie eine Mutter, die ihr Kind schaukelt. Das Gehirn wurde zu müde, um weiter zu denken.
    Dann schlief der Feldwebel Erich Schwabe, 26 Jahre alt, verheiratet mit Ursula Maria, geborene Villich, geboren in Köln am Rhein, Feldpost-Nr. 23786. Achte Verwundung: schwerste Gesichtsverletzungen durch Mineneinwirkung. Sofortige Spezialbehandlung notwendig. Hat 3.000 Einheiten Tetanusserum vom Hammel bekommen. Puls sechzig, Temperatur sechsunddreißigdrei, gemessen in Achselhöhle.
    »Die werden sich freuen in Bernegg«, sagte der Stabsarzt, als man die Trage mit Erich Schwabe in den Lazarettzug geschoben hatte.
    Es war ein früher Morgen, eisig kalt, und um Schwabe hatte man eine dicke Wolldecke geschlungen. Die Sankas waren nicht geheizt, und vom Lazarett bis zum Bahnhof Suwalki war es gut eine halbe Stunde Fahrt. Auch der Stabsarzt fror erbärmlich trotz seines Pelzmantels. Er hielt sich nur länger auf dem zugigen Bahnhof auf, weil mit dem Lazarettzug auch junge Schwestern gekommen waren. Fröhliche Mädchen aus der Heimat, die eine Nacht in Suwalki blieben und am nächsten Morgen wieder zurück nach Deutschland fuhren.
    Erich Schwabe wurde in die unterste der drei Bettetagen geschoben. Über ihm lag ein Lungendurchschuß, im obersten Bett wimmerte ein Mann, der auf dem Bauch lag. Dann quietschte die Abteiltür zu, und nur das Wimmern aus dem obersten Bett füllte den kleinen Raum.
    »Wie sieht er denn unter dem Verband aus?« fragte eine der jungen Schwestern draußen auf dem Gang.
    Der Stabsarzt tätschelte vertraulich die Hüfte des Mädchens. »Wie in einem alten Gruselfilm, mein Mädchen. Aber Sie werden's nicht sehen. Wir haben ihn neu verbunden, und der Verband kann draufbleiben, bis er in Bernegg ist. Ich glaube, daß ich Ihnen bis morgen früh Schöneres und Erlebnisreicheres zeigen kann, Schwesterchen.« Er lachte sonor, kniff ein Auge zu und fand, daß zwar bisher Schwarz sein auserwählter Typ gewesen war, daß aber auch die Blonden ihre Reize hatten.
    Erst als der Zug durch die Masurische Seenplatte fuhr und zwischen Lyck und Neuendorf halten mußte, weil ein Truppentransportzug das Gleis blockierte, erwachte Schwabe aus seinem Eukodalrausch. Er lauschte auf das Rattern der Räder, als der Zug wieder anfuhr.
    So komme ich zurück in die Heimat, dachte er. Als ein Mensch ohne Gesicht … Er weinte, und während über seinen Augen der Verband feucht von Tränen wurde, wunderte er sich, daß ein zerstörtes Gesicht noch in der Lage ist, Tränen zu erzeugen.
    Die Abteiltür knirschte. Er hörte Rascheln, eine weiche Hand glitt über seinen Hals, eine Frauenhand. Seine Finger umklammerten sie.
    »Ich bin bei Ihnen«, hörte er eine helle Stimme sagen. »Ich bin Schwester Erna. Ich werde Sie betreuen, bis Sie in ein neues Lazarett kommen. Haben Sie Durst, soll ich Ihnen etwas zu trinken geben?«
    Schwabe nickte. Kurz darauf spürte er, wie kalte Flüssigkeit durch die Kanüle in seinen Mund rann. Er schluckte, und es schmeckte widerlich nach Jod, Blut und Äther.
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