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Das geschenkte Gesicht

Das geschenkte Gesicht

Titel: Das geschenkte Gesicht
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sagte er laut und abgehackt: »Nein, Herr Oberarzt Dr. Urban.«
    Dr. Urban fuhr herum. Jetzt sah Schwabe, daß Urban etwas fülliger um den Leib herum geworden war. Aber das Gesicht war das gleiche, schmal, hochmütig, etwas verkniffen. Nur unter den Augen hingen Tränensäcke und machten dieses nordische Gesicht alt.
    »Sie kennen mich?« fragte Dr. Urban steif. Er ging hinter seinen Schreibtisch und setzte sich.
    »Sie kennen mich nicht?« fragte Schwabe.
    Urban betrachtete den Mann vor sich. Die Narben im Gesicht, die immer noch etwas deformierten Ohrmuscheln, der von einer Seitennarbe leicht nach links verzogene Mund. Urban faltete die Hände und schob die Unterlippe etwas vor.
    »Sie waren einmal in Bernegg?« fragte er lauernd.
    »Bis 1949.« Schwabe sah Urban ernst an. »Auch als die Amis einrückten, war ich da, Herr Oberarzt.«
    Dr. Urban winkte ab. Man sah, daß er sich bemühte, die Peinlichkeit der Situation durch Großzügigkeit wegzuschieben.
    »Lassen wir das. Wie heißen Sie eigentlich?«
    »Schwabe. Erich Schwabe. Damals Zimmer B 14.«
    »Schwabe?« Urban griff nach dem seitlich von ihm liegenden Aktenstück und blätterte darin herum. »Schwabe?«
    »Ich mußte damals mit zerfetztem Gesicht vor Ihnen strammstehen und ›Heil Hitler‹ rufen.«
    Dr. Urban warf die Akte zur Seite, zurück auf den kleinen Beitisch. Sein schmales Gesicht war von Freundlichkeit überzogen.
    »Ja, das waren Zeiten, nicht wahr?« sagte er breit. »Wenn wir damals nicht alle mitgemacht hätten, wäre es uns an den Kragen gegangen. Eine schreckliche Zeit war das. Ich erinnere mich ungern daran.«
    »Das kann ich mir denken.«
    »Ich finde Ihre Bemerkung unpassend, Herr Schwabe.« Dr. Urban stützte sich auf und erhob sich hinter dem Schreibtisch. Er stand jetzt da wie vor 18 Jahren, hochmütig, seiner Macht bewußt. »Ich habe nichts zu vergessen. Nur, damit Sie heute nacht besser schlafen können: Ich bin in einem ordentlichen Verfahren als Nichtbetroffener entnazifiziert worden und seit sieben Jahren Amtsarzt. Daß ich Offizier war, ist ja kein Verbrechen. Einer Ihrer Kollegen aus Bernegg, ein Herr Kaspar Bloch, hatte eine Klage gegen mich laufen. Sie ist abgewiesen worden.« Dr. Urban lächelte mokant auf Schwabe herab. »Als alter Bernegger sollten Sie das auch wissen, Herr Schwabe, darum erzähle ich es Ihnen.«
    Schwabe schwieg. Er sah Dr. Urban lange an, und Urban wußte, was Schwabe jetzt dachte. Er ging um den Tisch herum und stellte sich vor Schwabe auf.
    »Man hat Sie vorgeladen wegen einer Neufestsetzung der Rente, nicht wahr?« sagte er mit dienstlicher Stimme. »Heben Sie das Gesicht mal gegen das Licht.«
    Schwabe reagierte nicht auf den Befehl. Er blieb sitzen und starrte auf die unruhigen Hände Dr. Urbans.
    »Na, dann nicht«, sagte der Arzt. »Ich sehe es auch so. Sie haben ja wieder ein fabelhaftes Gesicht bekommen. Professor Rusch ist ein Künstler.«
    »Es hat mich bis heute 10.000 D-Mark gekostet«, sagte Schwabe dumpf. »Professor Rusch hatte das Geld ausgelegt, und ich habe es ihm zurückgezahlt. Der Staat, der mir das Gesicht genommen hat, hat 10.000 D-Mark verlangt, weil ich ein neues Gesicht habe.«
    Dr. Urban trat zwei Schritte zurück und steckte die Hände in die Taschen des weißen Arztkittels. »Na und? Andere geben 10.000 D-Mark für Reisen, für Weiber, für Sauferei aus. Sie haben wenigstens für das Geld ein anständiges Gesicht bekommen.«
    »Und jetzt will man die Rente niedriger setzen, weil mein Gesicht so gut aussieht.«
    »Das wird sich nicht vermeiden lassen, Herr Schwabe. Die Kriegsschäden sind weitestgehend beseitigt. Wozu soll der Staat dann noch zahlen?«
    »Ich habe diese Schäden mit meinem Geld, mit eigenen 10.000 D-Mark beseitigt«, schrie Schwabe plötzlich. »Soll ich jetzt dafür bestraft werden? Hätte ich meine Fratze behalten sollen?«
    »Für die Rente wäre es von Vorteil gewesen.«
    Schwabe schluckte ein paarmal. Es war ihm, als bliebe ihm die Luft einfach weg. »Ist … ist das der Dank des Vaterlandes?« stieß er hervor.
    »Reden Sie nicht solchen Quatsch«, rief Dr. Urban grob. »Ich sehe aus Ihren Akten, daß Sie die Rente ja gar nicht brauchen. Es geht Ihnen prächtig, auch finanziell. Es ist überhaupt eine Frechheit, hierher zu kommen und sich eine Rente zu erschleichen, wo Sie wieder aussehen wie ein Engelchen von Botticelli.«
    Schwabe erhob sich langsam. Er nahm seinen Hut und drückte ihn gegen seine Brust.
    »Sie waren immer ein Schwein, Urban«,
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