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Das geschenkte Gesicht

Das geschenkte Gesicht

Titel: Das geschenkte Gesicht
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sagte er ruhig. »Ich werde klagen.«
    »Tun Sie das.« Dr. Urban lächelte verzerrt. »Mit diesem neuen schönen Gesicht werden Sie nie einen Ersatzanspruch erhalten.«
    »Und meine 10.000 D-Mark?«
    »Betrachten Sie sie als private Investition. Es hat Sie ja niemand amtlich aufgefordert, dieses Geld herzugeben. Wo kämen wir hin, wenn wir jede Schönheitsoperation bezahlen sollten?«
    »Ich werde ein Gutachten von Professor Rusch vorlegen.«
    »Der gute Rusch.« Dr. Urban lachte. »Er soll sich die Arbeit sparen.«
    »Es sind noch mehr da, Dr. Urban. Dr. Lisa Rusch, geborene Mainetti als Dozentin, Dr. Adam als I. Oberarzt, Dr. Baumann als II. Oberarzt. Alle an der Klinik von Professor Rusch. Lauter Bernegger.«
    Dr. Urban winkte ab, so wie man einen alten Witz abtut.
    »Nehmen Sie sich einen Spiegel, Schwabe«, sagte er hämisch grinsend, »und sehen Sie einmal länger hinein als nur beim Rasieren. Vielleicht eine Viertelstunde, das genügt schon. Sie werden dann erkennen, daß niemand Ihnen für dieses menschlich und ästhetisch wieder annehmbare Gesicht einen Ersatzanspruch zubilligt. Sie können eine vom Sitzen zerknitterte Hose auch nicht im Geschäft umtauschen oder Ihr Geld wiederverlangen. Man wird Ihnen sagen: Bügeln Sie sie doch selbst auf. Und glauben Sie, daß man Ihnen dann das Bügeleisen bezahlen wird? Na also, Schwabe. Seien Sie kein Don Quichotte – nehmen Sie die Tatsachen gelassen hin. Wir leben schließlich in einem Rechtsstaat.«
    Erich Schwabe senkte den Kopf. Er sah auf das dicke Aktenstück, das auf dem kleinen Tisch lag und das alle seine Krankenpapiere enthielt – von der Einlieferung im Hauptverbandsplatz bis zum heutigen Tag. Ein Lebenslauf voller Grauen und Schmerzen, voller Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung, und später, langsam wachsend, voll Glauben an die Zukunft und voll Freude über die Rückkehr zur Menschheit – mit einem neuen, geschenkten Gesicht.
    »Na also, gehen wir, Schwabe«, sagte Dr. Urban fast gemütlich. »Es freut mich, daß Sie voll und ganz den Anschluß wieder gefunden haben.«
    »Ja, gehen wir«, nickte Schwabe.
    Er machte zwei rasche Schritte um den Schreibtisch herum und ergriff seine Krankenakte. Ehe Dr. Urban zugreifen konnte, hatte Schwabe sie weggerissen, rannte zum Fenster und warf das Aktenbündel hinaus in den Garten. Dort flatterten die einzelnen Blätter im Wind davon, in die Büsche, über den Rasen, in die Baumzweige, über ein Mäuerchen auf die Straße.
    »Sind Sie verrückt geworden?« schrie Dr. Urban und riß Schwabe vom Fenster zurück. »Das sind amtliche Dokumente.«
    »Wozu noch Akten, Dr. Urban?« sagte Erich Schwabe ruhig. Er strich sich über die Hände, als habe er sie sich voll Schmutz gemacht. »Es ist doch wertloses Papier. Sehen Sie, wie es davonflattert. Den Erich Schwabe, der dort fliegt, den gibt es doch nicht mehr. Oder?«
    Dr. Urban wandte sich ab. »Gehen Sie«, sagte er heiser.
    »Guten Tag, Herr Oberarzt«, sagte Schwabe.
    Auf dem Flur wartete ungeduldig Ursula. Sie ging hin und her und starrte immer wieder die Tür an, aus der Schwabe kommen mußte.
    Endlich öffnete sie sich. Schwabe kam heraus. Nicht mit wütendem Gesicht wie die anderen vor ihm, sondern ernst und doch irgendwie zufrieden.
    Ursula stürzte auf ihn zu. »Was ist, Erich?« fragte sie atemlos. »Ist alles klar?«
    »Es ist jetzt alles klar«, sagte Schwabe deutlich.
    »Man hat dir endlich recht gegeben?«
    »Das Recht ist immer auf den Seiten der Stärkeren«, nickte Schwabe.
    »Gott sei Dank.« Ursula atmete hörbar auf. Sie faßte Schwabe unter und ging mit ihm zum Ausgang. »Und was machen wir jetzt, Erich?«
    Schwabe sah noch einmal zurück zu der weißlackierten Tür. Untersuchungszimmer – Eintritt verboten – Anmeldung in Zimmer 10.
    »Komm«, sagte er rauh. »Laß uns schnell gehen … Laß uns hinaus in die Sonne gehen. Ich will die Sonne sehen – und keine Schatten mehr.«
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