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Das Geloebnis

Titel: Das Geloebnis
Autoren: Pearl S. Buck
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ärgerlich und sagte: »Ich wünschte, ich hätte meinen dritten Sohn hier und könnte ihn an den Ohren ziehen! Wann ist einer meiner Söhne jemals einer Frau nachgelaufen, wenn sie nicht sein Weib war? Warum heiratet er sie nicht, wenn er hungrig nach ihr ist? Und sie ist noch übler als er – ihn an sich heranzulassen, diese freche Tochter einer verderbten Mutter …«
    »Hör auf zu schimpfen, Weib«, mahnte Ling Tan. »Weshalb beschimpfen sich Frauen immer so leicht?«
    »Vielleicht will sie meinen Bruder nicht heiraten«, erklärte Lao Ta. »Vergiß nicht, Mutter, daß sie voll Gelehrsamkeit ist, und mein Bruder erkennt nicht einmal seinen Namen auf dem Papier, wenn er ihn sieht.«
    Aber Ling Sao bot ihrem Sohn die Stirn. »Wenn sie den Bauch voll Tinte hat, dann ist sie ohnehin keine Frau für ihn«, entgegnete sie, »und um so weniger sollte sie sich ihm nähern.«
    Jetzt lachten alle sie aus, woraufhin sie einen der Zwillinge von Jades Arm nahm und ihn forttrug, um sich in der Küche zu trösten. Denn ihre Enkel boten ihr stets Trost. An ihren eigenen Kindern konnte sie Fehler finden, die Enkel aber waren vollkommen in ihren Augen.
    Solcherart waren die kleinen Dinge im Hause Ling Tans, und irgendwie ging das Leben im Hause weiter, obwohl das Land unter der bitteren Herrschaft des Feindes stand. Irgendwie gewannen sie für sich genügend Nahrung aus der Erde, und Lao Ta und Lao Er erlangten immer mehr Geschicklichkeit darin, die Gegner zu täuschen. Seit Lao Ta die Frau, die er einst in seiner Falle gefangen, geheiratet hatte, stellte er keine Fallen mehr, denn die Frau liebte ihn über alle Maßen, und sie wollte nicht, daß er sein Leben aufs Spiel setzte. Sie weinte, bis er sich bewegen ließ, heimzukommen und wieder als anständiger Bauer in seines Vaters Haus zu leben. Doch obwohl die Familie sich von keiner anderen gewöhnlichen Familie auf der Erde zu unterscheiden schien, vergaßen sie keinen Augenblick den Haß auf den Feind noch ihren Willen, gemeinsam mit allen Leuten die Gegner ins Meer zu jagen, wenn der Himmel den Tag werden ließ.
    Zu sich selbst sagte Ling Tan immer, daß dies der Tag sein würde, an dem die Männer von Mei in solchen Zorn gerieten, daß sie ebenfalls in den Krieg eintraten.
    »An diesem Tag«, bemerkte er eines Abends zu seinen Söhnen, »wenn wir hören, daß die Männer von Mei auf unserer Seite am Krieg teilnehmen, wird uns so viel Kraft verliehen sein, daß wir uns erheben, den Feind überfallen und ihn aus dem Land treiben. Jeder Mann an seinem Ort wird sich erheben und über den nächsten Gegner herfallen, auch wenn er nur seine bloßen Hände hat, um dem Gegner an die Gurgel zu fahren, und dann werden wir alle frei sein.«
    Es war ein kühler Abend am Ende des Monats, als er dies sagte – so kühl war der Abend, daß Ling Sao ihre beiden Söhne gebeten hatte, den Tisch aus dem Vorhof ins Wohnzimmer zu tragen, wo sie das Abendbrot in der Wärme zu sich nehmen konnten. Noch hatte es keinen Frost gegeben, aber sie hob den Kopf und schnüffelte in die Abendluft, bevor sie die Tür schloß.
    »Ich rieche heute den Winter«, sagte sie.
    »Der fünfte Kriegswinter«, bemerkte Ling Tan ernst. »Aber nächsten Winter werden wir wieder frei sein.«
    Niemand sprach nach diesen Worten, weil man ihm die Hoffnung nicht nehmen wollte. Er glaubte zu sehr an jenen Tag seiner Hoffnung, wobei er den Glauben aus der Luft schöpfte, denn noch immer drang kein Wort aus der Außenwelt zu ihnen, welches besagte, daß die Männer von Mei und Ying ihr Gelöbnis halten würden. Sogar die Gerüchte, die sie früher stets von ihrem alten Vetter in der Stadt gehört hatten, waren jetzt verstummt. Denn dieser alte Gelehrte hatte eines Nachts zuviel Opium genommen und war nicht mehr erwacht. Der Mann, dem der armselige Raum gehörte, wo er sein Leben verschlief, fand ihn am nächsten Morgen tot, und er wollte den ausgemergelten Körper schon über die Stadtmauer werfen, denn in dieser Zeit galten die Toten nicht so viel wie früher. Es gab jeden Morgen zu viele Leichen in den Straßen, einige verhungert, etliche an Krankheit zugrunde gegangen und einige erstochen – wer weiß, von welchem Dolch? Dann aber sah der Mann, daß der Tote unter seinem zerlumpten Gelehrtentalar eine gute Baumwollweste anhatte, und da kam ihm der Gedanke, sich diese Weste anzueignen. Dabei entdeckte er, daß der Alte an der Weste einen kleinen Karton mit Schnur befestigt hatte. »Sollte ich tot aufgefunden werden«,
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