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Das Geloebnis

Titel: Das Geloebnis
Autoren: Pearl S. Buck
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hielt, den hatte Ling Sao sich aufgeladen. So waren sie nie ohne Bürde, was sie auch tun mochten. »Es ist ja nur die eine Hand«, sagte sie jetzt, um den alten Mann zu beschwichtigen.
    »Aber es ist die Hand, mit der ich den Samen in die Erde zu pflanzen pflegte«, murrte Ling Tan.
    »Daher ist sie um so müder«, versetzte Jade sanft.
    Ling Tan stieß einen tiefen Seufzer aus, nahm den Brief in beide Hände und drehte und wendete ihn. Sein Stolz verbot ihm zu fragen, was oben und was unten war, und Jade mochte ihm nicht bedeuten, daß er den Brief schließlich verkehrt hielt. Warum sollte sie einen Alten beschämen? Er betrachtete den Brief genau, wobei er sich einbildete, in den Schriftzeichen die Dinge zu sehen, die er gerade zuvor von ihren Lippen vernommen hatte.
    »Seltsam, daß sie von ihm schreibt, ohne daß sie verheiratet sind«, bemerkte er. »Weshalb sind sie nicht verheiratet?«
    »Wie kann ich sagen, weshalb eine andere Frau einen deiner Söhne nicht heiraten will?« lachte Jade.
    Ling Tan lächelte nicht.
    »Ich werde meinen dritten Sohn nie mehr wiedersehen«, sagte er traurig. »Fremde Winde und fremde Wasser – das sind widrige Dinge.«
    »Laß solche Gedanken nicht zu«, entgegnete Jade. Das Kind in ihren Armen war eingeschlummert, und sie dachte, daß sie es ins Bett legen und ihre Arme eine Weile ausruhen könne. Sie erhob sich und stahl sich leise über den Vorhof, wo sie mit dem alten Mann gesessen hatte, und so blieb er allein.
    Eine Zeitlang fuhr er fort, den Brief anzustarren, den er nicht zu lesen vermochte, doch schließlich faltete er ihn klein zusammen und steckte ihn in seinen Gürtel. Dort wollte er ihn bewahren, bis er zu Staub zerfiel, wie er auch die anderen Briefe dort bewahrte, welche die Frau geschrieben hatte, die sein dritter Sohn liebte. Nein, er konnte diese Frau nicht verstehen, die, obwohl sie einen so prächtigen Mann wie seinen dritten Sohn nicht heiraten mochte, getreulich dann und wann schrieb und die Briefe ihnen durch einen Boten sandte, den sie aufzutreiben vermochte. Aber nichts war wie gewohnt in diesen Kriegsjahren, und Männer und Frauen waren am sonderbarsten von allem.
    Er seufzte abermals und legte den Kopf auf seine auf dem Tisch ruhenden Arme. Die Sonne schickte warme Strahlen in den Hof, und ringsum war alles still. Er hörte wieder das Geräusch des Webstuhls – des Webstuhls, der stumm geblieben, seit seine dritte Tochter Pansiao in die Inlandberge zur Schule geschickt worden war. Jetzt hatten sie seit vielen Monaten nichts mehr von Pansiao gehört. Fast hatte er vergessen, wie dieses Töchterchen aussah. Aber er dachte nun an sie, als er den Webstuhl hörte.
    Er wußte, daß nicht Pansiao an dem Webstuhl saß, sondern die Witwe, die sein ältester Sohn geheiratet hatte. Sie war eine gute Weberin, überhaupt gut für alle Arbeiten im Haus; gleichwohl zeigte sich Ling Sao ihr gegenüber oft ungeduldig, weil die Frau dauernd besorgt war, der Schwiegermutter zu mißfallen, und da sie besorgt war, erregte sie Mißfallen, und dann verkroch sie sich und weinte. Worauf Ling Sao ihr verärgert nachrief: »Hör auf zu weinen, arme, dumme, gute Seele! Es stimmt, daß du stets versuchst, mir zu Gefallen zu sein, aber es wäre wahrhaftig leichter für mich, wenn du dich nicht fortwährend an meiner Seite hieltest wie eine Katze, die sich an den Beinen reibt. Streng dich nicht so an, Schwiegertochter, und ich werde dich lieber haben!«
    Aber das verstand die Frau nicht. Sie blickte ihre Schwiegermutter nur aus tränenerfüllten Augen an und wimmerte: »Mir scheint es, daß ich gar nicht genug versuchen kann, dir zu Gefallen zu sein.«
    Immer wieder hatte sich dieser Streit zwischen den beiden Frauen ergeben, bis Ling Tan es eines Tages auf sich genommen hatte, zu Ling Sao zu sagen: »Da mein ältester Sohn diese Frau nun einmal für sich gefunden hat und sie gern hat, laß sie doch in Ruhe. Soll ich wegen dir und dieser Frau ein elendes Alter haben? Wenn es schon keinen Frieden in der Welt gibt, kann ich ihn nicht wenigstens in meinem eigenen Haus haben?«
    Seit er dies gesagt hatte, murrte Ling Sao außerhalb seiner Hörweite, und so hatte er Frieden.
    Jetzt erklang das leichte Klappern des Webstuhls beim warmen Sonnenschein eines milden Wintertages; es trug ihn fort von allen Gedanken, und er schlief ein.

2
    Über tausend Meilen entfernt von dem Hof, wo der alte Mann in der Sonne schlief, stand sein dritter Sohn, Lao San, in einem anderen Hof.
    Lao San trug
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