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Das Geloebnis

Titel: Das Geloebnis
Autoren: Pearl S. Buck
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würdet mir zu essen geben, wenn ihr diese Haare sähet, die er sich von seinem eigenen Kopf abschnitt, als er vor mir stand. Er nahm seinen Dolch zur Hand, schnitt sich die Haare ab und gab sie mir.«
    Als Ling Sao den Priester dies sagen hörte, rief sie laut, daß es bestimmt die Haare ihres dritten Sohnes seien, der vor vielen Tagen fortgezogen war, und mit ihm einige der Berg-Männer, die er anführte.
    »Wessen Haare locken sich so außer denen meines dritten Sohnes?« rief sie. »Nie sah ich solche Haare, und ich sagte immer, daß ich deshalb so großes Verlangen nach Aalen hatte, als er in meinem Leib war. Erinnerst du dich, wie ich Aale aß, als ich deinen dritten Sohn trug, Alter?«
    »Ich erinnere mich«, erwiderte Ling Tan. »Und als er zur Welt kam, waren wir alle über die Art seiner Haare betrübt. Sie schlängelten sich auf seinem Kopf gleich Aalen, wie du sagst, Alte. Aber da war es zu spät. Und sie sind immer so aus ihm gewachsen. Wo saht Ihr ihn doch noch, guter Priester?«
    »In der Nähe der Stadt Long Sands«, gab der Priester Bescheid.
    »War er in Lumpen?« fragte Ling Sao ängstlich.
    »Nein, er war in richtigen Kleidern«, berichtete der Priester. »Und er sah recht gutgenährt und glücklich aus. Aber er war auf dem Weg zur Schlacht wie alle jungen Männer in jener Gegend, denn man erwartet, daß die Feinde sich für einen neuen Angriff auf die Stadt sammeln.«
    Ling Sao nahm die Haare aus des Priesters Hand und wickelte sie in ein Stückchen rotes Papier, das sie in ihrem Zimmer in einer Tischschublade aufbewahrt hatte. Ling Tan hieß das Weib seines ältesten Sohnes dem Priester eine Mahlzeit bereiten – soviel er nur essen konnte und außerdem noch Mundvorrat. Das tat die Frau sogleich, denn sie war in diesem Haus eine willige, treue Seele geworden, auf die sich alle verließen, und sie erklärte niemals, müde zu sein. Sogar Jades frühere Arbeit nahm diese Frau auf sich, und wenn Jade die Rede darauf brachte, lachte sie und sagte: »Wenn du deine beiden Knaben stillst, was kann man dann noch mehr von dir verlangen?« Jades Zwillingssöhne waren auch wirklich immerzu hungrig, und es schien, daß Jade, wieviel gezuckerte Reisgrütze und Suppe und in Tee gekochte Eier sie auch zu sich nehmen mochte, das Gegessene nie rasch genug in Milch für die beiden durstigen Knaben an ihren Brüsten verwandeln konnte.
    Als der Priester mit vollem Magen und gefülltem Korb gegangen war, saßen alle da und dachten an den dritten Sohn, und sie fragten sich, ob er wohl in der Schlacht getötet werden würde oder nicht und was wohl aus ihm werden würde.
    Kurze Zeit darauf erhielt Jade einen Brief, und als sie ihn öffnete, stellte sie fest, daß Mayli ihn geschrieben hatte. Er kam aus der Provinz, die Yünnan oder ›Süden der Wolken‹ genannt wird, und zwar aus der Stadt Kunming. Dorthin, hatte Mayli zu Jade gesagt, wolle sie gehen, und dort befand sie sich nun. Es war ein kurzer Brief, anscheinend voll fröhlichen Geplauders, doch endete er mit der Frage: »Wie kommt es, daß der jüngere Bruder deines Mannes mir meine kleine seidene Flagge nicht zurückgebracht hat?«
    Niemand außer Jade und Lao Er wußte etwas von der kleinen seidenen Flagge, die Mayli Jade anvertraut hatte, damit sie sie Lao San gäbe als Zeichen, daß sie ins freie Land ging, falls er ihr folgen wollte. Als Jade nun den Brief laut vorlas, während sie an einem Herbsttag jenes Jahres alle im Sonnenschein im Vorhof saßen, gewahrte sie diese Frage zum voraus, und sie las sie den andern nicht vor, um nicht mit Fragen bedrängt zu werden, die sie nicht zu beantworten vermochte. Aber nachher, als sie in ihrem Schlafzimmer war, erzählte sie Lao Er alles.
    Er lächelte und sagte: »Er wird demnächst dort sein.«
    Es geschah denn auch, daß Jade einen Monat später wiederum einen Brief erhielt, und diesmal schrieb Mayli: »Berichte Deinen Eltern, daß ihr dritter Sohn in diese Stadt gekommen ist. Er hat bei der Schlacht von Long Sands mitgekämpft, und er ist erfüllt von dem Sieg, den wir gegen den Feind gewonnen haben.«
    Mehr als dies schrieb Mayli nicht, aber das genügte ihnen, denn sie waren höchst erfreut zu hören, daß irgendwo ein Sieg errungen war und daß Lao San lebte. Nur Ling Sao murrte, weil in dem Brief nichts davon stand, ob ihr dritter Sohn und diese Mayli nun verheiratet waren oder nicht. Aber nein, da war kein Wort von Heirat, weder in diesem Brief noch in einem anderen, der später eintraf.
    Ling Sao wurde
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