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Das Geloebnis

Titel: Das Geloebnis
Autoren: Pearl S. Buck
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schulterte der Engländer sein Gewehr. Sein Gesicht war blaß und müde, doch in seinen Augen stand noch immer Entschlossenheit. »Nun also«, sagte er unvermittelt, »wir würden besser losziehen.«
    Er machte scharf kehrt, während er sprach, und schritt von dannen, hinter ihm die andern Engländer in ihren schmutzigen, schweißverfleckten Uniformen, und in Reih und Glied marschierten sie davon. Die Straße hinunter marschierten sie gen Indien, und die Chinesen blickten ihnen nach, sahen die unerschrockenen, zerlumpten Gestalten gegen den gewittrigen Himmel immer kleiner werden und sich schließlich in der wachsenden Dunkelheit verlieren.
    Jetzt aber kam der seltsamste Bruchteil dieses seltsamen Augenblicks. Der Inder, der all diese Tage hindurch Sheng still und ergeben gefolgt war, spannte seinen mageren dunklen Körper und sauste dann in die Luft, als wären seine Beine stählerne Sprungfedern, und er stürmte dahin, hinter den Engländern her. Dies tat er ohne einen Laut, ohne Schrei, ohne Worte, ohne Abschiedsgruß. Er rannte in die Dunkelheit den weißen Männern nach, und seine nackten Füße waren so geräuschlos wie ein Tiger im Staub.
    Für eine Sekunde sahen sie sein wildes Antlitz, das Weiße seiner großen traurigen Augen, das Blitzen seiner weißen Zähne. Dann war auch er fort.
    Alle waren zuerst viel zu verwundert, um sprechen zu können, bis Sheng schließlich Charlie anblickte und fragte: »Dieser Mann aus Indien – hat er noch immer sein Messer?«
    Charlie erwiderte: »Du weißt, daß er es den ganzen Tag in der Hand hält und es nachts unter dem Kopf hat.«
    »Dann ist die Aussicht nicht gut«, sagte Sheng grimmig.
    Während die Chinesen noch dastanden, begann ein verstohlener Wind von den Wolken herüberzuwehen. Er verstärkte sich beständig mit einem fernen Grollen, und als Mayli dies hörte, wurde sie besorgt und zum erstenmal ängstlich. Sie wandte sich an Sheng. »Wohin sollen wir gehen?« fragte sie. »Ich fürchte mich vor dem Unwetter. Der Himmel sieht ganz anders aus als bei einem gewöhnlichen Gewitter.«
    »Es ist ein starkes Unwetter«, erwiderte er. Beunruhigt prüfte er die Wolken, die sich am ganzen westlichen Himmel ballten. »Jedenfalls dürfen wir nicht hineingeraten«, entschied er ernst.
    Jetzt schauten sie gen Osten, und sie sahen, daß dort der Himmel noch immer klar und blau war.
    »Laßt uns heimgehen«, sagte Sheng plötzlich.
    Pansiao, die das Wort ›heim‹ hörte, rief: »Oh, ich möchte heimgehen!«
    »Heim … heim«, seufzten die müden Frauen.
    Aber Mayli sagte traurig: »Zwischen uns und der Heimat liegen viele hundert Kilometer von Urwald und Gebirge und Flüssen. Können wir so weit zu Fuß gehen?«
    »Ich gehe«, versetzte Sheng fest.
    Sogleich brach er auf, und Pansiao lief ihm nach, und hinter ihr ging Charlie, und eine nach der andern folgten die Frauen, bis Mayli allein dastand, so müde, sagte sie sich, daß sie keinen Fuß aufsetzen konnte, um eine so lange Wanderschaft zu beginnen. Vor ihnen schimmerte der reine, helle Himmel noch klarer. Aber war sie nicht zu müde, um ihm entgegenzugehen? Sie sehnte sich danach, bis zum Tod zu schlafen.
    Ganz vorn blieb Sheng stehen und blickte zurück.
    »Kommst du nicht mit mir?« rief er.
    Doch sie zauderte. Was, wenn sie die Heimat niemals erreichten?
    »Sheng!« rief sie. »Willst du mir geloben …«
    Mit scharfen, schneidenden Worten schnitt er ihre bittende Stimme ab. »Ich lege keine Gelöbnisse ab«, rief er zurück. »Ich bin nicht wie jene Menschen, die Gelöbnisse ablegen!«
    Groß und aufrecht sah sie ihn in dem blaugrauen Licht stehen. Wenn sie hierblieb oder wenn sie den Engländern nachlief, würde sie dann nicht in das Unwetter geraten? Der Sonnenschein fiel noch immer von dem klaren Himmel auf das Land. Was konnte sie anderes tun als mit Sheng gehen? Und Gelöbnisse waren nichts als Worte, und Worte waren Seifenblasen, die leicht von den Lippen der Menschen fielen, platzten und zergingen, als wären sie nie gewesen. Sie senkte den Kopf. Nein, auch wenn er kein Gelöbnis ablegen wollte …
    »Ich komme!« rief sie; und so begannen sie ihren Heimweg.
    Weit weg in Ling Tans Haus saß Jade und beobachtete ihre Söhne, die auf der Dreschtenne vor der Tür spielten. Es war bald Mittag, und binnen kurzem würden die beiden Männer, Lao Ta und Lao Er, zur Mahlzeit heimkommen. Sie befanden sich auf den Feldern, wo sie den reifen Weizen schnitten. Es war eine beschwerliche Ernte, und sie hatten ihn, wie
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