Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Geloebnis

Titel: Das Geloebnis
Autoren: Pearl S. Buck
Vom Netzwerk:
über sich, dem neben ihr schreitenden müden und verwirrten Mann Vorwürfe zu machen. Ihn traf ebensowenig Schuld wie sie selbst. Er war hierhergeschickt worden, und da war er nun.
    Sie setzten sich wieder in Bewegung, und eine Zeitlang sprachen sie nicht. Dann fragte sie sanft: »Müssen wir die ganze Nacht hindurch gehen, oder dürfen wir es wagen zu rasten?«
    »Wir wollen weitergehen, solange unsere Beine uns tragen«, versetzte er.
    Von da an redeten sie nichts mehr, außer was gesagt werden mußte.
    Schließlich wurde es dunkel, und sie konnten nicht mehr weiter. »Laßt uns bleiben, wo wir sind«, schlug der Engländer vor. »Wir wollen das Gras niedertreten. Ich halte es für besser, wenn wir nicht alle schlafen. Wir drei Männer wollen regelmäßig Rundgänge machen; auf diese Weise können wir wenigstens die Schlangen abhalten und hören, wenn irgendein gefährliches Tier in die Nähe kommt.«
    »Wir wollen uns alle abwechseln, ausgenommen Pansiao«, entgegnete Mayli. »Pansiao muß schlafen, weil sie noch so jung ist.«
    »Nein, Unsinn, ihr Frauen müßt alle schlafen«, widersprach er. »Ich versichere Ihnen …«
    Aber Mayli sagte: »Wir Chinesinnen sind gewohnt, das gleiche wie die Männer zu tun.«
    So verbrachten sie die Nacht im Urwald, abwechselnd schlafend und umhergehend, und als der Morgen graute, machten sie sich wieder auf den Weg.
    Was gibt es von einer solchen Wanderfahrt zu erzählen? Die Müdigkeit benebelte ihnen das Hirn und stumpfte das Gefühl in Fleisch und Knochen ab. Mattigkeit wurde von noch größerer Mattigkeit abgelöst, und sie wurden schläfrig, während sie dahinschritten, so daß die Blutegel sich an ihren Knöcheln und Beinen festsetzten; und sie fühlten sie nicht, bis einer sie beim andern sah und sie ablöste. Blut tropfte aus solchen Wunden, und es bestand die Gefahr, daß sie zu stark bluteten, weshalb sie einander um so sorgfältiger beobachteten. Auch der Himmel war an diesem Tag grausam; der Regen kam nur einmal hernieder, so daß sie fortwährend Durst litten und schwach wurden, obzwar sie zu ermattet waren, um Hunger zu empfinden; statt nach Nahrung verlangte es sie stark nach Salz. Heute sprachen sie nur das Notwendigste miteinander, denn das Reden erforderte Atem und Kraft. Der Engländer hielt Maylis Kompaß in der Hand; dauernd drangen sie westwärts vor, und doch, wer wußte, ob dieser Urwald sich gen Norden und Süden oder gen Osten und Westen erstreckte? Sie konnten nur weiterstreben, in der Hoffnung, daß er irgendwo ein Ende nehmen würde.
    Spät am Abend gelangten sie zu einem trüben, sich schlängelnden Fluß, und als sie den Fluß hinunterblickten, sahen sie eine Hängebrücke aus Bambus. Groß war ihre Freude darüber, denn dies bedeutete, daß Menschen in der Nähe waren; und sie gingen zu der Brücke. Doch wußten alle, daß die Menschen ihnen feindlich gesinnt sein konnten, und so näherten sie sich der Brücke vorsichtig und überquerten sie halb mit Furcht. Ein kleiner Pfad war längs des gegenüberliegenden Ufers durch das Unterholz gehauen; sie folgten ihm, bis sie zu einem Dorf am Fluß kamen. Auf der anderen Seite des Wassers war der Urwald gerodet worden; dort breiteten sich kleine Reisfelder, die jetzt grün von Setzlingen und auch gelb von erntereifem Reis waren. Denn in diesem Land war es das ganze Jahr hindurch so warm und feucht, daß die Menschen auf dem einen Feld Reis säen und auf dem nächsten ernten konnten; und es gab keine Jahreszeiten.
    Sie hielten an, als sie in Sichtweite des Dorfes gelangten, und besprachen miteinander, was sie tun sollten. »Wir Männer wollen hingehen und kundschaften«, schlug der Engländer vor.
    Aber dies wollte Mayli nicht zulassen. »Was soll aus uns werden, wenn man euch gefangennimmt und tötet?« wandte sie ein.
    So wurde beschlossen, daß sie und der große Engländer weitergehen und daß die übrigen zurückbleiben sollten. Kehrten sie zurück, so war alles gut; wenn nicht, so mußten die andern sehen, wie sie weiterkamen. Als jedoch Pansiao dies vernahm, weigerte sie sich zurückzubleiben, und so ging sie ebenfalls mit.
    »Ihre Schwester?« fragte der Engländer mit einem Blick auf das schlanke Mädchen, das Maylis Hand ergriff.
    Mayli wollte schon verneinen, doch da kam ihr Sheng in den Sinn, an den sie jetzt immerzu dachte, und sie sagte: »Ja … meine Schwester.«
    Das Dorf war nur von sechs bis sieben Familien bewohnt, die hier in großem Frieden lebten und vom Krieg nicht mehr wußten,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher