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Das Geloebnis

Titel: Das Geloebnis
Autoren: Pearl S. Buck
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und im Gänsemarsch zogen sie gemeinsam dahin.
    Stunde um Stunde wanderten die beiden verschiedenartigen Gruppen, Männer und Frauen, hell und dunkel, durch das schwüle, drückende Dämmern des Urwalds, jede ein wenig im Zweifel über die andere und darum Schweigen bewahrend. Ab und zu flüsterten sie untereinander ein paar Worte, welche die andere Gruppe betrafen. So sprachen die Engländer mit einem Blick auf die hinter ihnen schreitenden Mädchen: »Die Kleine sieht aus, als ob sie noch nicht über siebzehn wäre«, sagte der eine.
    Und ein anderer bemerkte: »Sie wären sehr hübsch, wenn man sie nicht mit unsern Mädchen vergleichen würde.«
    »Sie sind zu gelb, zu mager, und ich mag ihre Augen nicht«, erklärte der dritte.
    »Immerhin sind es Mädchen«, meinte der erste.
    Die Frauen redeten ungehemmt, da sie wußten, daß die Männer ihre Sprache nicht verstanden. »Sind alle Ying-Männer so groß und dünn und knochig wie diese?« erkundigte sich Hsieh-ying bei Mayli.
    Mayli konnte noch lächeln, so erhitzt und müde sie auch war. »Unter den Ying-Männern gibt es wie überall dicke und dünne«, antwortete sie.
    »Sie machen mir angst«, klagte Pansiao. »Ihre Augen haben ein so gefühlloses Blau, und ihre Nasen sind wie Pflugscharen. Wozu brauchen sie solche Nasen? Beschnüffeln sie sich wie die Hunde?«
    »Sie kommen mit diesen Nasen aus dem Mutterleib«, erklärte Mayli.
    »Sie sehen wie geschälte Früchte aus«, urteilte Siu-chen. »Weshalb ist ihre Haut so rot?«
    »Die Sonne brennt sie rot statt braun«, erwiderte Mayli.
    Nach Frauenart begannen sie nun vertraulicher miteinander zu reden. »Sind diese Männer wie andere Männer?« fragte Hsieh-ying; denn sie hatte ein schwärmerische Vorliebe für Männer, wogegen sie nicht ankonnte, wenn sie es auch aus Schamgefühl möglichst verbarg.
    »Gewiß«, versetzte Mayli kühl.
    »Es überläuft mich, wenn ich mir vorstelle, mich einem solchen Tölpel hinzugeben«, sagte Hsieh-ying.
    Mayli lächelte trocken. »Freut mich zu hören«, erwiderte sie, und die Frauen lachten. Ja, sie konnten noch lachen, wenn sie die Engländer betrachteten und ihre knorrigen, nackten Beine sahen, die großen, schlanken Körper, die dünnen, von der Sonne rotgebrannten Hälse, so jung waren diese Frauen trotz dem Grauen der Schlacht, das sie miterlebt, trotz der bösen Lage, in der sie sich befanden.
    »Ihre Behaartheit ist mir so zuwider«, sagte An-lan. »Nie habe ich behaarte Geschöpfe gemocht wie Katzen und Hunde und Affen, und diese Ying-Männer sind mit Haaren bedeckt. Seht nur ihre Bärte an!«
    »Sie hatten in all diesen Tagen keine Gelegenheit, sich zu rasieren«, entgegnete Mayli.
    Aber An-lan rief: »Wie können sie sich am ganzen Leibe rasieren? Schaut doch ihre Arme und Beine, sie sind ebenso behaart wie Kinn und Wangen! Und habt ihr ihren nackten Oberkörper gesehen? So dicht waren die Haare darauf wie auf der Brust eines Hundes. Haben sie unter den Kleidern am ganzen Leib Haare?«
    »Ich habe noch nie einen Ying-Mann ohne Kleider erblickt«, erwiderte Mayli kurz. »Auch sonst keinen Mann. Aber ich glaube, daß sie nicht so behaart sind wie Hunde.«
    Mit solchen Gesprächen erleichterten sie sich einige Kilometer des Marsches, doch konnte es so nicht dauernd weitergehen. Sie mußten an Nahrung und Schutz denken, und als der Abend kam, auch an Schlaf. So rief Mayli bei Anbruch der Dämmerung die Engländer an und sagte: »Sollten wir nicht lieber miteinander reden und über Essen und Schlafen eine Entscheidung treffen? Der Urwald ist noch nicht zu Ende, und irgendwo müssen wir rasten.«
    Daraufhin blieben die Männer stehen und warteten, bis die Frauen sie eingeholt hatten.
    Sie ließen sich auf umgestürzten Bäumen nieder, wischten sich das Gesicht mit dem Ärmel ab, pflückten große Blätter und fächelten sich damit. Die Schnaken und Mücken umschwärmten sie, und sie gebrauchten die Blätter als Abwehr gegen die Insekten, indem sie sie dauernd bewegten.
    Plötzlich sprang der kleine Engländer auf und rief: »Mein Gott, das kann ich nicht länger aushalten!« Er schlug sich auf die nackten Beine und Knie. In den orangeroten Haaren, die auf ihm wuchsen, hatten sich Dutzende von kleinen Insekten verwickelt. Hsieh-ying aber hatte ihn mit großen Augen betrachtet, und sie hatte den Geruch des Blattes wahrgenommen, das sie in der Hand hielt. Es war ein sehr durchdringender Geruch, der, wie sie bemerkte, sich noch verstärkte, als sie das Blatt zerdrückte. So
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