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0495 - Die Schlucht der Echsen

0495 - Die Schlucht der Echsen

Titel: 0495 - Die Schlucht der Echsen
Autoren: Werner Kurt Giesa
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Fassungslos starrte Gabriella Pacoso das Chaos an, das sich vor ihr auftat. Ihren Lancia hatte sie im letzten Moment mit einer Notbremsung stoppen können. Der Motor lief noch, aber die blonde Frau in der Uniform der carabinieri brachte es nicht fertig, den Rückwärtsgang einzulegen und den Dienstwagen mit Vollgas in Sicherheit zu bringen.
    Immerhin hatte sie das Blaulicht eingeschaltet. Eine reine Reflexbewegung.
    Tonio Morcadi, einen Dienstrang unter ihr, kauerte wie ein erschrockenes Häufchen Elend auf dem Beifahrersitz und keuchte entsetzt: »Die Straße - bei der Madonna, wo ist die Straße geblieben? Wo sind die Menschen geblieben?«
    Es gab sie nicht mehr!
    Und dann schäumte die Gischt heran - Wasser, das wie eine Sturmflut auf den Lancia zuraste, Felsbrocken und technisches Gerät unbestimmbaren Ursprungs vor sich her schleuderte und kurz und klein schlug, was sich ihm in den Weg stellte. Endlich schaffte Gabriella es, den Rückwärtsgang einzulegen. Sie gab Vollgas. Mit durchdrehenden Rädern schoß der Lancia rückwärts.
    Aber er war nicht schnell genug, um der schäumenden Flutwelle zu entgehen.
    Im nächsten Moment gab es auch den Himmel nicht mehr, sondern nur noch eine lichtlose Schwärze, die die Kälte des Weltraums ausspie!
    Innerhalb von Sekundenbruchteilen vereisten die Scheiben des Lancia. Der Motor setzte aus. Der Wagen schleuderte gegen ein Hindernis, kam zum Stillstand. Blitzschnell fraß sich die gnadenlose Kälte durch Glas und Metall ins Fahrzeuginnere und raubte den beiden Insassen den Atem.
    Auf das heranstürmende Wasser warteten sie vergeblich, und dann war es in dem eisig kalten Wagen kaum mehr auszuhalten. Innerhalb von Sekunden mußte die Temperatur bis auf 20 oder 25 Grad unter Null gestürzt sein.
    »Raus, oder wir erfrieren in diesem Eisblock!« schrie Gabriella Pacoso ihrem Kollegen zu und stemmte sich gleichzeitig gegen die Tür. Die wollte sich nicht öffnen lassen. Neben ihr klapperte Tonio mit den Zähnen. »Bleib lieber drinnen, sonst wirst du gleich weggespült! Das Wasser muß doch gleich kommen… das Wasser…«
    Das Wasser kam nicht. Die Tür flog mit einem heftigen Ruck auf, als sie sich mit der Schulter dagegen warf. Jetzt begriff Gabriella auch, warum sie sich erst nicht hatte öffnen lassen. Sie war regelrecht festgefroren gewesen. Zum Glück funktionierte wenigstens die Schließmechanik noch bei dieser Kälte.
    »Raus, Tonio!«
    Abgerissene Fetzen der Gummidichtung, die von der Türöffnung herunterbaumelten, strichen ihr durchs Gesicht, als sie sich nach draußen warf. Hier war es noch kälter. Ihr Atem stand wie eine weiße, undurchdringliche Nebelwolke vor ihrem Gesicht. Tonio kletterte jetzt auch ins Freie. Entsetzt starrte er die Umgebung und den Wagen an. Alles war von einer mehrere Zentimeter dicken Reifschicht überzogen, und der Atemhauch gefror fast schon in der Luft.
    »Langsam einatmen. Langsam, mehrmals hintereinander ganz tief einatmen. Sauerstoff speichern - und dann losrennen!« verlangte Gabriella.
    Sie machte es ihm vor und glaubte innerlich zu vereisen, als die Kaltluft in ihre Lungen biß. Sie war sicher, daß die Minusgrade längst den Wert 40 unterschritten hatten. Aber über ihnen gab es wieder grauen Himmel. Die unglaublich lichtlose Schwärze war verschwunden.
    Sie rannten los, doch weit kamen sie nicht. Gabriella zerrte ihren Kollegen mit sich vorwärts, auch wenn ihr fast die Sinne schwanden. Daß sie ihn schließlich hinter sich her schleifte, wurde ihr gar nicht mehr bewußt. Später wunderte sie sich darüber, woher sie die Kraft dafür genommen hatte. Ihr letzter Eindruck, den sie in die Bewußtlosigkeit mitnahm, war das Bild einer gewaltigen, festgefrorenen Wassermasse, die sich hinter dem Lancia auftürmte, nur ein paar Schritte vom Wagen entfernt…
    ***
    »Na, wie fühlen wir uns?« erkundigte sich der Mann im weißen Kittel, rechts und links flankiert von zwei Krankenschwestern. Gabriella richtete sich halb auf und wunderte sich darüber, daß sie es ohne Hilfe schaffte. Sofort war eine der Schwestern da, rückte das Kissen zurecht und hebelte das Kopfteil des Bettes ein wenig höher.
    »Wie Sie sich fühlen, dottore, kann ich nicht beurteilen. Ich fühle mich jedenfalls besch… bescheiden. Ich würde mich sofort wesentlich besser fühlen, wenn ich diesen ekelhaften Lysolgestank nicht mehr riechen müßte. Wo sind meine Sachen? Wie bin ich überhaupt hierhergekommen, und wo ist Morcadi?«
    »Ihr Kollege? Dem geht’s
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