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Hans Heinz Ewers

Hans Heinz Ewers

Titel: Hans Heinz Ewers
Autoren: Geschichten des Grauens
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Der schlimmste Verrat
     
    Man nannte ihn: Stephe. Das kam, weil sein Vorgänger so hieß; da hatte der alte Totengräber, viel zu faul, sich an einen andern Namen zu gewöhnen, dem neuen Gehilfen gesagt: „Ich nenn’ dich Stephe.“
    In Ägypten geschah das. Nicht am Nil – im Staate Illinois. Im südlichen Teil: der heißt „Ägypten“, weil ein wildes Gemisch schlechter Rassen dort durcheinander wohnt. Schlechter, niederer Rassen – oder doch, was der Amerikaner so ansieht: Kroaten, Slowaken, Ungarn, Tschechen, Walachen, Slowenen, Russen, Griechen, Italiener und Ukrainer. Aber der Yankee kennt diese Namen nicht; er hört nur, daß sie alle nicht englisch sprechen, sondern irgendein wirres Durcheinander – das ist wie in Babel nach dem Turmbau. Und Babel, ja, das war in Ägypten, nicht wahr? Oder doch irgendwo daherum in der Nähe. Darum nennt er das weite Land Ägypten.
    Der Amerikaner ist der Herr. Ihm gehört das Land, ihm gehören alle die Bergwerke und Hütten und Zechen. Die „Ägypter“ sind seine Sklaven. Die Negersklaven im Süden sind frei seit einem halben Jahrhundert – sie brauchen nicht mehr zu arbeiten; die Weißen aber, die Europa ausspie, die müssen arbeiten. Und wenn sie nicht wollen, wenn sie streiken, dann läßt der Herr Maschinengewehre auffahren. Schießt ein paar Dutzend tot, sperrt andere ins Zuchthaus – im Namen der Freiheit. In Ägypten und überall im Land.
    Freilich, einige der Ägypter sind klug. Sie scharren ein wenig Geld zusammen, dann mehr und noch mehr. Werden schließlich selbst Amerikaner und Herren. Freigelassene: nicht sozial gleichberechtigt, o nein – aber doch wirtschaftlich. Und die sind die schlimmsten; die verstehn es am besten, auch den letzten Saft aus den Sklaven herauszupressen.
     
    Der Name der kleinen Stadt, vor der Stephe wohnte, klang gar nicht ägyptisch. Auch nicht englisch, auch nicht indianisch. Klang deutsch: Andernach. Hier hatten einmal pfälzische und rheinische Bauern gesessen vor langen Jahren – kein Mensch wußte mehr, wann das gewesen war. Aber sie waren längst fortgezogen, eine Familie um die andere, als die Industrie kam und mit ihr die Ägypter. Und nur ganz wenige der alten Siedler waren zurückgeblieben, zwei, drei deutsche Namen: Die waren auch längst Amerikaner geworden. Reiche Herrn.
    Dennoch: Die Stadt sah anders aus, als alle anderen ringsum. Keine Holzbaracken, keine Wellblechhütten. Richtige Ziegelsteinhäuser, mit Reben bewachsen; Gärten drumherum, Apfelbäume, Birnbäume, Kirschbäume. Die niederen Rassen begriffen recht gut den Unterschied; zerstörten nichts; bauten hinzu, Häuser und Gärten; fühlten sich ein wenig als Menschen in Andernach – viel, viel mehr, als irgendwo sonst im Ägypterland.
    Draußen, vor der Stadt, lag der Friedhof. Der war noch deutscher als die Stadt. Große Eichen standen da und manche Trauerweiden. Fast in der Mitte, einen kleinen Hügel hinauf, lagen die deutschen Gräber, und man las die Namen: Schmitz, Schulze und Huber. Sehr einfach alle Steine, aber gut gepflegt, so daß der Efeu, der allen Boden deckte, sie nirgends überwucherte. Eigentlich gehörte der Friedhof niemandem, keiner Glaubensgemeinschaft und keinem der Stämme der Ägypter. Die benutzten ihn alle – und bezahlten dafür an den alten Totengräber: Der war der Herr. Zweimal im Jahr zahlte ihm die Bank der Stadt einen Scheck aus, aus Chicago überwiesen, oder war es aus San Francisco? Als die Deutschen wegzogen, verkauften sie, einer um den andern, Haus und Garten – aber den Friedhof nicht. Den konnte keiner verkaufen – und so erwarb ihn auch niemand. Aber einer aus Andernach, irgendein Schmitz oder Huber oder Schulze, der längst gestorben war, hatte ein gutes Vermächtnis gemacht: Dessen Zinsen erhielt für seine Arbeit der alte Totengräber. So war er der Platzhalter von Toten, die für sich selber zahlten, war der Herr in seinem Land – und als solchen betrachteten ihn die Ägypter. Er verkaufte ihnen Grabstätten, nahm viel oder wenig, wie er grade wollte, schrieb Kreuze und Steine und Säulen nach seinem Geschmack und aus seiner Werkstatt vor.
    Ein Böhme war er, Pawlaczek hieß er. War früh hinüber gekommen, hatte hier noch gehaust mit den Deutschen und war nun lange schon der älteste in der Stadt. Sein Tschechisch hatte er vergessen durch vierzig lange Jahre, dann mühsam wiedergefunden, als die Ägypter kamen. Und sein Deutsch und Englisch warf er in einen Topf und machte einen fettigen Brei daraus.
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