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Das Geloebnis

Titel: Das Geloebnis
Autoren: Pearl S. Buck
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ging sie zu dem Mann hinüber und bedeutete ihm, das Blatt an seinen Beinen zu reiben. Dies tat er, und die Insekten mochten den scharfen Geruch des Blattes nicht, so daß er ein wenig Frieden vor ihnen hatte.
    »Sie sind ein gutes Mädchen«, sagte er zu Hsieh-ying, und Mayli übersetzte die Worte, über die Hsieh-ying heimlich lachen mußte.
    So giftig war jedoch das Blatt, daß er dies kaum gesagt hatte, als seine Beine auch schon zu brennen anfingen, und er begann sich zu kratzen und schrie: »Verdammt, ich glaube, das Blatt enthielt einen Giftstoff.« Alle betrachteten seine Beine, und Hsieh-ying verging das Lachen. Da es keinerlei Mittel gegen die Insekten gab, beschlossen sie, die Rast aufzugeben, und setzten den Marsch fort. Jetzt aber schritten Mayli und der große Engländer nebeneinander, weil sie die Führer waren, und auch die andern, die folgten, gingen nun gemeinsam dahin, nicht mehr gesondert.
    Je länger der Engländer Mayli betrachtete, desto besser gefiel sie ihm. »Ein Glück, daß wir jemanden getroffen haben, der Englisch versteht«, sagte er. »Vielleicht können wir einander helfen.«
    »Es ist nicht leicht für Frauen, in diesem ungastlichen Land allein zu reisen«, erwiderte sie.
    »Wollen wir irgendeinen Plan machen?« fragte er als nächstes.
    »Ich habe schon darüber nachgedacht, was wir wohl tun könnten«, gab sie zurück. »Wenn es uns gelänge, die Große Straße zu finden, die nach Indien führt, dann wäre es das beste für uns, in jener Richtung zu gehen, denn ich weiß, daß es keine Hauptstraßen nach China gibt. Aber ich habe oft gehört, daß eine große Straße nach Indien führt.«
    Er preßte seine geschwollenen Lippen zusammen. »Sie irren sich«, entgegnete er barsch. »Es gibt keine.«
    »Keine Straße nach Indien?« rief sie.
    Er schüttelte den Kopf. »Deshalb ist ja der Rückzug so schwer«, sagte er langsam. »Die Straßen sind schmal, lauter alte gewundene Wege, und sie sind von Menschen verstopft. Außerdem führt nichts geradewegs nach Indien.«
    Einen Augenblick lang vermochte sie nicht zu antworten, so erstaunt war sie. Viele Male hatte sie von der fabelhaften Straße nach Indien gehört, über dreißig Meter breit, hart und fest wie ein Fußboden, so beschaffen, daß ganze Heerscharen darauf marschieren konnten. »Was für unglaubliche Dummköpfe sind eure Generale!« entfuhr es ihr dann. »Da schaffen sie zuwenig Truppen in dieses Land, um siegen zu können, und wissen noch dazu, daß es keinen Weg für die Rückkehr gibt!«
    »Sie sagen da nichts, das ich mir nicht schon selber gesagt habe«, entgegnete er. »Immer wieder habe ich mir das vorgehalten. Aber so ist es nun einmal. Dünkirchen war leicht im Vergleich mit dem hier. Ich war bei Dünkirchen dabei, möchte ich betont haben. Da mußten wir nur mehrere Kilometer Wasser überqueren, und ganz England stand bei uns. Wir wußten, daß England da war, verstehen Sie. Aber hier … Hunderte von Kilometern durch diesen entsetzlichen Urwald … und England Tausende von Kilometern entfernt. Sogar Indien …« Er brach ab, Mayli sah, daß er gegen Tränen ankämpfte.
    Sie fragte sich: »Wozu sind wir hier?«
    Er aber rief laut: »Wozu schlagen wir uns in diesem fremden Land? Das fragen sich alle. Wenn wir den Krieg gewinnen, bekommen wir dieses Land mit allem übrigen zurück. Verlieren wir den Krieg, so werden wir es ohnehin nicht haben. Dies ist kein Kampfplatz. Meine Güte, wir können unsere Leute zu Zehntausenden in dieses Loch werfen und doch niemals gewinnen. Es ist kein geeignetes Schlachtfeld für Weiße.«
    Dies hörte sie, und sie antwortete nicht. Sie schaute ringsum in den Urwald. Nein, es war kein Kampfplatz. Die Bäume zitterten über ihren Köpfen, und Lianen rankten sich in den Ästen. Allenthalben dehnte sich das Unterholz zu einem Dickicht. Fette Gräser wuchsen hoch über sie hinaus, wo immer die Bäume der Sonne Raum gaben, Gräser, die naß vom Regen waren, mit Blättern so groß wie Teller. Bei einem solchen großen Blatt blieb sie jetzt stehen, denn wie in einer Schale enthielt es Wasser vom letzten Regen, und kniend trank sie das Wasser daraus. Dreimal hatte es geregnet, seit sie ihren Marsch begonnen, und immer wieder hatten sie auf diese Weise getrunken. Nein, es war kein Boden, der sich zum Schlachtfeld eignete. Wie viele aber waren darauf gestorben! Sie dachte an den General und an Chung und an alle andern, die sie an diesem Morgen tot zurückgelassen; und doch brachte sie es nicht
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