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Unter dem Georgskreuz

Unter dem Georgskreuz

Titel: Unter dem Georgskreuz
Autoren: Alexander Kent
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Der Ehrensäbel
    Die Königliche Werft in Portsmouth, gewöhnlich ein lauter und geschäftiger Ort, lag still wie ein Grab. Zwei Tage lang hatte es ununterbrochen geschneit, und die Häuser, Werkstätten, Holzstapel und Vorräte für die Schiffe, die typisch waren für jede Werft, hatten sich in bedeutungslose Schemen verwandelt. Und es schneite immer noch weiter. Die weiße Decke hatte selbst die vertrauten Gerüche überlagert: Die unverkennbare Mischung aus Farbe und Teer, Hanf und frischem Sägemehl roch anders als sonst. Sie schien so fremd wie die Geräusche. Gedämpft durch den vielen Schnee waren sogar der Schuß der Kanone, mit dem die Verhandlung des Kriegsgerichts eröffnet wurde, und sein Echo fast unbemerkt verhallt.
    Residenz und Kontore des Admirals schienen heute noch mehr von den anderen Gebäuden isoliert als sonst. Von einem der hohen Fenster, von dem man immer ein nahes Dock überblickte, konnte man jetzt nicht einmal das Wasser des Hafens entdecken.
    Kapitän Adam Bolitho wischte über das feuchte Fensterglas und starrte nach unten auf den einsamen Posten, einen Seesoldaten in scharlachroter Uniformjacke. Es war früher Nachmittag, doch schon dämmrig wie bei Sonne nuntergang. Im Fenster betrachtete Bolitho sein Spiegelbild und das flackernde Holzfeuer im Kamin an der anderen Seite des Raums. Dort saß auf der Kante eines Stuhls sein Begleiter, ein nervöser, junger Leutnant, und rieb seine Hände vor den Flammen. Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte Bolitho Mitleid mit ihm gehabt. Es war keine leichte oder gar erstrebenswerte Pflicht, als Begleiter zu agieren. Seine Lippen wurden schmal. Begleiter?
Eskorte
war richtiger. Eskorte für jemanden, der vor einem Kriegsgericht erscheinen mußte. Dabei hatte ihm jedermann versichert, daß das Urteil ohne jeden Zweifel zu seinen Gunsten ausfallen würde.
    Das Gericht war an diesem Morgen in der großen Halle zusammengetreten, die sich an das Haus des Admirals anschloß. Sie diente häufiger als Ort für Empfänge denn als Gerichtssaal, in dem über das Schicksal eines Mannes, ja sogar über sein Leben entschieden wurde. Man sah immer noch einige unpassende Spuren des großen Weihnachtsballs, der kürzlich hier veranstaltet worden war.
    Adam starrte auf den Schnee. Gerade hatte ein neues Jahr begonnen: Man schrieb den 5. Januar 1813. Nach allem, was er durchgemacht hatte, hätte er nach diesem Neuanfang greifen müssen wie ein Ertrinkender nach der Rettungsleine. Aber das tat er nicht, konnte es nicht. Alles, was ihm lieb und teuer war, lag hinter ihm – nur zerbrochene Erinnerungen blieben ihm.
    Er spürte, daß der Leutnant sich auf seinem Stuhl regte, und bemerkte Bewegung auch draußen. Das Gericht trat wieder zusammen. Nach einer sicher verdammt guten Mahlzeit, dachte er. Das Essen war offenbar ein Grund, die Verhandlung hier zu führen, statt die Herren der Unbill einer Passage im offenen Boot zum Flaggschiff auszusetzen, das irgendwo im Schneetreiben in Spithead ankerte.
    Er berührte die Seite, wo der eiserne Splitter ihn getroffen und zu Boden gerissen hatte. Er glaubte damals, sterben zu müssen. Manchmal hatte er sich das sogar gewünscht. Wochen und Monate waren inzwischen vergangen. Und immer noch fiel es ihm schwer zu begreifen, daß er vor weniger als sieben Monaten verwundet worden war. Und daß damals seine geliebte
Anemone
sich dem Feind ergeben hatte – ohnmächtig gegen die geballte Feuerkraft der
U.S.S. Unity
. Selbst heute noch war seine Erinnerung daran verschwommen. Der rasende Schmerz der Wunde, der gebrochene Stolz, der nicht akzeptieren wollte, daß er Kriegsgefangener war. Ohne Schiff, ohne Hoffnung, jemand, den man schnell vergessen würde.
    Jetzt spürte er kaum noch Schmerzen. Selbst einer der Chirurgen der Königlichen Flotte hatte das Können des französischen Wundarztes der
Unity
gelobt, ebenso die anderen Ärzte, die während seiner Gefangenschaft alles Menschenmögliche für ihn getan hatten.
    Er war geflohen.
Männer, die er kaum gekannt hatte, hatten alles für ihn aufs Spiel gesetzt, um ihn zurück in die Freiheit zu bringen. Einige waren dafür sogar gestorben. Und dann gab es noch andere, denen er auch niemals zurückgeben könnte, was sie für ihn getan hatten.
    Mit einem Räuspern sagte der Leutnant: »Ich glaube, sie sind zurück, Sir!«
    Adam nickte. Der Mann schien Furcht zu haben. Vor mir? Vielleicht wollte er nur Abstand halten, falls man mich verurteilte?
    Seine Fregatte, die
Anemone
, hatte sich mit einem
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