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Das Geloebnis

Titel: Das Geloebnis
Autoren: Pearl S. Buck
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Merkwürdiges erschwert worden. Der Inder hatte angefangen, einen starken Haß auf den vereinzelten Engländer zu zeigen, so sehr, daß Sheng es bemerkte und zu Charlie sagte: »Dieser Mann aus Indien wird dem Weißen ein Leid antun, wenn wir die beiden miteinander allein lassen. Hast du gesehen, wie er seine Hand dauernd an der Brust hält, wo er sein Messer aufbewahrt?«
    Der Inder hatte wirklich ein Messer, ein seltsames, kurzes, nicht über zehn Zentimeter lang, aber mit fein und scharf geschliffener Schneide.
    »Ich habe seinen Haß gesehen, wenn er den Weißen verstohlen anschaut«, gab Charlie zurück. »Es ist schlimm, daß keiner von uns seine Sprache kann, um ihn zu fragen, worauf sein Haß beruht.«
    »Wir müssen ihn Tag und Nacht im Auge behalten«, meinte Sheng. »Nicht aus Liebe«, fügte er hinzu, »sondern um der Gerechtigkeit willen.«
    Dies taten sie denn auch, obwohl ihre Aufgabe dadurch erschwert wurde, daß der Engländer keine Ahnung von des Inders Haß hatte und tatsächlich dazu gelangte, ihn in Kleinigkeiten wie einen Diener zu behandeln. Der Inder gehorchte dem Engländer, wenn jener auf etwas deutete, das er getan wünschte, aber seine Augen quollen dabei vor frischem Haß hervor.
    Indessen strebten sie andauernd nach Norden, und wenn es auch keiner von ihnen wußte, so endete der Urwald doch viel früher im Norden als im Westen, und sie stießen auf einen sauberen Weg, der westwärts führte. Dort machten sie halt und berieten, ob sie in östlicher oder in westlicher Richtung weitergehen sollten. Ostwärts wäre Sheng gegangen, wenn er es gekonnt hätte, doch das erste Dorf in jener Richtung war voll von Feinden, was sie glücklicherweise feststellten, bevor sie sich allzusehr genähert hatten, denn Charlie, der vorausmarschierte, erblickte eine Handvoll Gegner, die in einem kleinen Wirtshaus an der Landstraße Tee tranken, worauf er zu den andern zurückrannte und sie sich unverzüglich gen Westen wandten.
    Dies war dieselbe Straße, auf die ein Urwaldbewohner Mayli und ihre Gefährten geführt hatte, aber wie konnte einer von ihnen das wissen? Doch so war es, und so zogen sie alle die gleiche Straße dahin. Aber Sheng und seine Genossen schritten rascher aus, als es den Mädchen möglich war, und jeden Tag kam Sheng Mayli etwas näher, so daß die Zeit kommen mußte, da sie sich begegnen würden. Dies geschah eines Tages gegen Mittag in einer kleinen Stadt, und zwar unter folgenden Umständen.
    Inzwischen hatte sich zwischen den Frauen und den Engländern eine gute Freundschaft entwickelt. Das heißt, jeder kannte des andern Mängel und wußte sich damit abzufinden. Mayli war sogar dahin gelangt, die Engländer näher kennenzulernen, und es dünkte sie, daß sie durch diese Männer begriff, warum die Schlacht von Burma verloren worden war und wieso die Engländer gleichwohl deshalb nicht zu verachten waren. Zu dieser Erkenntnis war sie durch Beobachtungen und Gespräche gelangt. So bemerkte sie auch, daß diese Männer sich zu keiner Zeit und an keinem Ort jemals mit Verstehen abgaben, sondern stets blieben sie, als was sie geboren waren, Männer von England. Sie waren gutartig, und sie waren anständig. Niemals hätte sie geglaubt, daß sich Männer so ehrenhaft gegenüber Frauen betragen könnten wie diese drei gegenüber ihren Weggenossinnen, und dies, obwohl sie jederzeit Lust verspürt hätten zu tun, was böse gewesen wäre, hätten sie böse Herzen gehabt. Der Kleine war tatsächlich nicht imstande, seine Augen von einer Frau abzuwenden, wo immer er sie sah, aber er konnte seine Begierde in den Augen bewahren. Was den Großen anbelangte, welcher der klügste von allen war, so mußte sie ihn ganz einfach gern haben. Er war auch gebildet, denn er hatte in guten Schulen Unterricht genossen. »In Oxford«, sagte er zu ihr, als sie sich erkundigte, »und mein Vater und mein Großvater vor mir.« In diesem Mann war so viel Feinheit, so viel gestörte Urteilskraft und so viel Blindheit, daß sie seufzte, wenn sie nachts an ihn dachte.
    »Es wäre leichter für diejenigen, die unter ihrem Joch leben«, dachte sie, »wenn sie alle böse wären.«
    Aber nein, auf jeden bösen Weißen, meinte sie, kamen hundert, die nur blind waren, und von beiden Übeln war die Blindheit schwerer zu ertragen. So hörte sie diesen Mann, während sie ihn, neben ihm dahinschreitend, durch geschickte Fragen erprobte, sagen: »Wir haben eine Verantwortung für dieses Land.«
    Als er das Wort ›Verantwortung‹
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