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Das Geloebnis

Titel: Das Geloebnis
Autoren: Pearl S. Buck
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Höflichkeit keiner den andern anredete. Nachdem der Artigkeit Genüge geschehen war, fragte er sie: »Seid Ihr wohl und munter?«, und sie antwortete: »Ja«, und beide fühlten, daß mit diesen wenigen Worten viel gesagt war.
    Die ganze Zeit hatten die Engländer dem Auftritt zugeschaut, sehr verwundert und ohne ein einziges Wort zu verstehen. Der Engländer, welcher zu Shengs Gruppe gehörte, schwieg aus Unsicherheit, weil er von seiner Truppe fortgelaufen war, und hielt sich hinter Sheng und Charlie. Aber jetzt sah der große Engländer ihn deutlich; er rief ihn an, ging zu ihm und streckte ihm die Hand hin, wie Weiße zu tun pflegen, wenn sie einander begrüßen.
    »Ich sehe, daß Sie Engländer sind«, sagte er.
    Der andere nahm die dargebotene Rechte und lächelte säuerlich. »Gewiß«, erwiderte er und schwieg dann.
    »Wie sind Sie mit diesen Chinesen zusammengetroffen?« erkundigte sich der erste.
    »Durch reinen Zufall«, lautete die Antwort.
    »So erging es auch uns mit diesen Frauen«, berichtete der Große. »Wir wurden von den Japsen gefangengenommen, aber es gelang uns zu entkommen. Wir waren unser acht – die andern hatten weniger Glück.«
    »Soso«, gab der andere zurück. Dann fuhr er vorsichtig fort: »Ich habe mich verirrt. Der Rückzug war entsetzlich, was?«
    »Entsetzlich«, stimmte der Große zu.
    Dann traten alle Engländer zusammen, schüttelten sich die Hand und sprachen leise miteinander. Binnen eines Augenblicks standen die beiden Arten wieder gesondert, Engländer für sich und Chinesen für sich, und alle waren voll Unruhe, ausgenommen Mayli, die von der einen Gruppe zur andern schaute. Es war ein seltsamer Augenblick, ein Augenblick, wie er mitunter ungeteilt und vereinzelt aus der fließenden Zeit fällt, ganz in sich selbst geschlossen, weder mit der Vergangenheit noch mit der Zukunft verbunden. Sie ertrugen ihn in ungewissem Schweigen. Rings um sie glänzte das Grün dieses Landes, das ihnen allen fremd war. Da waren die niedrigen Hügel, und unter ihren Füßen war die staubige Straße. Der Himmel über ihnen wölbte sich sanft und blau; im Westen aber türmten sich langsam schwere Gewitterwolken immer höher über den Horizont. Niemand war auf den Feldern oder auf der Straße zu sehen. Die Luft lastete unbewegt und heiß auf ihnen. In diesem runden, losgelösten Augenblick waren sie von der ganzen Welt abgeschnitten, allein und abseits. Die Engländer standen beisammen, bärtig und schmutzig, in scheuer Unsicherheit. Die Chinesen standen beisammen in ihren abgetragenen, zerrissenen Uniformen, barfuß, ohne Kopfbedeckung, mit braungebrannten Gesichtern, mit kühlen Augen; und hinter ihnen war der Inder, aber niemand beachtete ihn. Mayli stand zwischen allen. Erst blickte sie den großen Engländer an, jetzt sah sie auf Sheng. Dann sprach sie zu Sheng.
    »Wollen wir weitergehen?« fragte sie ihn.
    »Mit ihnen weitergehen?« gab er zurück, wobei er die schwarzen Brauen zusammenzog und mit dem Kinn auf die Engländer deutete. »Nein, ich habe genug.«
    »Was sonst?« fragte sie. »Wohin sollen wir gehen?«
    »Wohin gehen sie?« erkundigte er sich, und seine Miene war noch immer finster.
    Sie wandte sich an den Engländer und änderte ihre Sprache. »Wohin geht ihr?« forschte sie.
    Die Engländer sprachen leise miteinander. Sie vernahm einige Wortfetzen. »Wir würden uns besser aus dem Staub machen …« – »Irgendwie zurück zu Weißen …« – »Fort aus diesem scheußlichen Land …«
    Dies waren die Worte, die Mayli hören konnte. Dann reckte sich der Große. »Westwärts«, erwiderte er. »Nach Indien.«
    Sie richtete den Blick gen Westen, und dort stiegen langsam schwere Gewitterwolken empor. Sie waren silberumrandet gegen die Sonne, doch auf dem Horizont lagen sie als schwarze Masse.
    »Dort wird es ein Unwetter geben«, sagte sie.
    »Freilich«, erwiderte der Engländer. »Aber es ist nicht das erste, das wir erleben.«
    Sie zauderten noch eine Weile. Dann steckte der Engländer die Hand in seine Tasche und holte den Kompaß hervor, den sie ihn durch den Urwald hatte tragen lassen.
    »So, das ist Ihr Kompaß – vielen Dank«, bemerkte er.
    Einen Augenblick trieb sie es, zu sagen, er dürfe den Kompaß behalten. Denn wirklich sahen die Engländer sehr hilflos aus, wie sie da beisammenstanden. Konnten sie führerlos den Weg finden? Aber Chung hatte ihr den Kompaß geschenkt, und sie mochte ihn nicht für immer fortgeben; so nahm sie ihn wortlos entgegen. Dann
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