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Die Diagnose: Thriller (German Edition)

Die Diagnose: Thriller (German Edition)

Titel: Die Diagnose: Thriller (German Edition)
Autoren: John Gapper
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    New York City besitzt ein ganz eigenes Licht, grell und strahlend und vollkommen anders als die dunstigen, wolkenreichen Sommer dort, wo ich aufgewachsen bin. Früher fand ich dieses Licht – genau wie die Stadt – bestürzend in seiner Intensität, doch jetzt vermisse ich es. Es herrschte auch an diesem Maimorgen, als ich aus dem Haus trat. Die Sonne schien auf die Blattknospen im Gramercy Park und spiegelte sich auf den Art-d é co-Wasserspeiern am Chrysler-Gebäude in der Ferne, die Lexington Avenue runter.
    Ganz in der Nähe lag mein Fitnessstudio, ein Kasten mit Fenstern an einer Ecke des Irving Place, in dem New Yorker Tag und Nacht auf langen Reihen von Laufbändern stampften. Einige hatten den Blick auf Fernsehbildschirme gerichtet und trugen Kopfhörer, die Kabel baumelten von ihren Ohren und schwangen im Rhythmus ihrer Schritte. Es war der Sonntag am Ende einer unwirklichen, stressigen Woche voller belastender Vorfälle, die ich hoffentlich geklärt hatte. Ich ging bewusst langsam, um zu entspannen und diese Vorfälle in mein Unterbewusstsein sinken zu lassen.
    Auf dem Gehweg kam ich an zwei Männern vorbei, die in eine Partie Schach vertieft waren. Beide waren schlank und hager und hatten schütteres Haar, einer hatte einen gepflegten weißen Bart. Während sie spielten, beklagten sie den Zustand der Stadt, die Preiserhöhungen bei der U-Bahn und die Gentrifizierung der Bowery. Der, der Schwarz spielte, rückte mit einem Springer auf den weißen König vor. Als er die Figur losließ, schnappte sich der andere quer übers Brett seine Königin, nahm mit zwei Fingern einen Turm hoch und knallte die weiße Königin so heftig auf das Schachbrett, dass es über die Straße hallte.
    »Ach«, murmelte Schwarz.
    »Hast du das gesehen?«, rief Weiß.
    Die ersten zehn Minuten auf dem Laufband, als ich schließlich im Fitnessstudio loslegte, waren schmerzhaft – meine Muskeln knirschten, und meine Kehle brannte. Nach etwa fünfzehn Minuten ging das Verlangen aufzuhören in einen Zustand der Langeweile über, und meine Gedanken machten sich selbstständig. Diesen Punkt spürte ich immer ganz deutlich, bevor ich den Countdown zum Ende hin begann, wenn das Laufen angenehm wurde. Als sich dieses kleine, aber wohltuende Fenster öffnete, schaute ich rüber auf den Fernseher an einem Laufband in der Nähe, auf dem Fox News liefen.
    Und schlug abrupt auf den roten »Stopp«-Schalter.
    Über den Bildschirm flimmerten Liveaufnahmen aus einem Hubschrauber – eine polizeiliche Verfolgungsjagd oder ein Verbrechen vor laufenden Kameras. Die Aufnahmen waren verwackelt, als der Hubschrauber kreiste, doch die Szene war deutlich zu erkennen: Harry Shapiros Haus in East Hampton. Dort waren der Rasen an den Dünen, der blaue Swimmingpool, das Muster des mit Zedernholzschindeln gedeckten Daches, die Stühle, auf denen wir gesessen hatten. Die Stühle waren leer, und es war niemand in Sicht – nur Haus, Rasen, Dünen, Strand und schwarz-weiße Fahrzeuge, die die Einfahrt verstopften. Harrys Range Rover parkte neben dem Haus, weit weg von dem Gedränge.
    »Trainieren Sie an diesem Gerät?«, fragte mich jemand von links. Ohne es zu merken, war ich von meinem Laufband gestiegen, wie magisch angezogen von dem Bildschirm.
    »Nein«, sagte ich. »Machen Sie nur.« Andere Kanäle zeigten dasselbe Bild, doch ich war ganz auf Fox mit dem roten Nachrichtenticker am unteren Bildrand konzentriert: TOD IN DEN HAMPTONS. Als ich den Kopfhörer aufsetzte, der an dem Gerät hing, hörte ich die aufgeregten Kommentare der Nachrichtensprecher, die wie im Fieberwahn redeten, ohne dass es viel Sinn ergab.
    »Wir schalten zu Bruce Bradley«, sagte eine weibliche Stimme, »der am Ort des Geschehens ist. Bruce, was können Sie uns sagen?«
    Das Bild wechselte zu einem Mann in einem blauen Blazer mit nichtssagendem Gesicht, der am Eingang zu der schmalen Straße stand, in der das Haus der Shapiros lag, und professionell ernst wirkte. In der Ferne konnte ich verschwommen den niedrigen Umriss des Gästehauses erkennen.
    »Melissa, ich bin in East Hampton, dem Ort am Strand von Long Island, der als Rückzugsort der Reichen bekannt ist«, sagte er volltönend. »Kriminalbeamte wurden gestern Abend zu einem Haus in dieser Straße gerufen, wo, wie ich erfahren habe, eine Leiche gefunden wurde.«
    Die Moderatorin setzte zu einer Frage an, doch eine Männerstimme übertönte sie. »Bruce, hier spricht Jack. Können Sie uns etwas über die Identität des Opfers
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