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Die Diagnose: Thriller (German Edition)

Die Diagnose: Thriller (German Edition)

Titel: Die Diagnose: Thriller (German Edition)
Autoren: John Gapper
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und behaupteten, mehr über Therapie zu wissen als ich, und im Allgemeinen waren sie unausstehlich.
    Der Verlust ihres Status war für sie ein schrecklicher Schlag. Sie kamen unter Höllenqualen über die Notaufnahme ins Episcopal, nachdem der Crash Angst oder Depressionen bei ihnen ausgelöst hatte. Sie saßen schweigend allein, mit bleichem Gesicht und zitternd, und ihre Gehirne ratterten, um zu begreifen, was da schiefgelaufen war. Doch eines war klar: Sie wollten nicht von einem dreißig Jahre alten Psychiater behandelt werden, der erst vor zwei Jahren seinen Facharzt gemacht hatte. Ich wirkte zu jung, obwohl ich so alt war wie einige von ihnen. Doch ich war nicht wichtig genug.
    So einer war einige Wochen vor Harry zu uns gekommen, ein Mann Mitte dreißig, der an der Madison Avenue einen Immobilienfonds geleitet hatte. Das Fondsvermögen hatte zu seinen besten Zeiten bei zwei Milliarden Dollar gelegen, doch jetzt war er wertlos, ausgequetscht von den Banken, die ihm Geld geliehen hatten. Ein Freund brachte ihn eines Nachts zu uns, nachdem er ihn aus einem Hotel geholt hatte, wo er sich verkrochen und, bis oben hin voll mit Wodka und Kokain, den Etagenkellner angebrüllt hatte. Ich nahm ihn auf, doch als er am nächsten Tag wieder nüchtern war, würdigte er mich keines Blickes, sondern verlangte, einen richtigen Arzt zu sehen.
    Deshalb war ich überrascht, als ich am Montag zur morgendlichen Visite auf Zwölf Süd kam, von Jim Whitehead, Stationsarzt von York Ost und Chefarzt der Stationären Psychiatrie, angepiepst zu werden. Wenn ich mit meiner Karriere weiterkommen wollte, konnte ich es mir nicht leisten, Jim zu verärgern, doch als ich ihn zurückrief, klang er genervt.
    »Ich habe hier einen Patienten, der von Ihnen behandelt werden möchte, Doktor«, sagte er formell. »Mr Shapiro.«
    Jim war groß und ernst und hatte dickes schwarzes Haar mit ein paar grauen Strähnen; selbst diese zeichneten sich sorgfältig ab. Hemd und Anzug waren immer makellos sauber und knitterfrei, als würden Schmutz und Krümel von ihnen abgleiten. Unfassbar, wie er die messerscharfen Bügelfalten in seiner Hose über den Tag rettete, obwohl er doch die meiste Zeit am Schreibtisch saß. Wenn er nicht auf York Ost war, hatte er eine lukrative Privatpraxis, in der er einige seiner Patienten aus dem Episcopal um sich scharte. Er würde Harry wahrscheinlich gern dorthin überweisen, dachte ich, und ich bin ihm im Weg.
    Trotz Jims Stimmung und der Schwierigkeiten, die mir womöglich daraus erwachsen konnten, versetzte mir die Nachricht, dass Harry nach mir gefragt hatte, einen Kick, den ich mir möglichst nicht anmerken lassen wollte. Ich hatte am Wochenende ein paarmal an Harry gedacht und sogar kurz darüber phantasiert, dass er mein Patient würde − hatte Nora nicht angedeutet, es wäre ihr sehr recht? Trotz seiner Gereiztheit verfügte Harry über viele attraktive Eigenschaften. Er war wohlhabend und bekannt, und dass der ganze Flügel nach ihm benannt war, machte ihn zur Trophäe, die die Begehrlichkeit der anderen Ärzte wecken würde. Abgesehen davon, war er faszinierend. Ich war überzeugt, dass hinter den Schlagzeilen noch eine andere Geschichte steckte, und die wollte ich hören. Vor allem aber war ich zuversichtlich, dass ich ihm helfen konnte, denn Depressionen im mittleren Alter sind sehr gut zu behandeln. Wie es aussah, sollte meine Phantasie wahr werden.
    Ich überließ es den Assistenzärzten auf Zwölf Süd, sich um alles zu kümmern, und verließ die Station, indem ich die doppelte Sicherheitstür mit dem klimpernden Schlüsselbund, der an meinem Gürtel hing, auf- und hinter mir wieder zuschloss. Wenn Patienten entwischten, bezeichneten wir das als »Durchbrennen« und nicht als »Flucht«, als wäre es ein romantisches Abenteuer, doch ich kam mir eher vor wie ein Gefängniswärter. York Ost lag eine Etage höher, mit Ausblick über den Fluss in Richtung eines neuen Apartmentblocks in Long Island City, auf dem ein Schild ZU VERMIETEN kündete. Ich fand Jim in seinem Büro auf der Station, wo er Notizen auf dem Klemmbrett las, das er immer bei sich trug. Ich trat ein und setzte mich vor seinen Schreibtisch.
    »Mr Shapiro?«, sagte ich.
    Jim beendete seelenruhig, womit er gerade beschäftigt war, bevor er aufblickte, womit er mir zu verstehen gab, dass er sich von der Angelegenheit nicht ablenken ließe. »Mr Shapiro«, sagte er, bevor er still wartete, als wäre es an ihm zuzuhören und an mir zu erklären.
    »Ich
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