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Die Diagnose: Thriller (German Edition)

Die Diagnose: Thriller (German Edition)

Titel: Die Diagnose: Thriller (German Edition)
Autoren: John Gapper
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Notaufnahme verabreicht hatte. Seine psychische Verfassung war noch nicht weiter untersucht worden, er war nicht nach seiner Geschichte befragt worden und hatte auch noch keine Antidepressiva bekommen. Der einzige Psychiater, mit dem er überhaupt ein paar Sätze gewechselt hatte, war ich gewesen, am Freitagabend.
    »Wie haben Sie geschlafen?«, fragte ich.
    »Ich will gehen«, wiederholte er langsam, als hätte ich ihm beim ersten Mal nicht zugehört. Es fiel mir schwer, seinem eindringlichen Blick standzuhalten.
    Ich machte Ausflüchte. »Ich kann mir vorstellen, dass es schwer ist, hier zu sein, aber ich finde, wir sollten uns unterhalten, damit ich ein Gefühl dafür bekomme, wie es Ihnen geht. Dann können wir mit der Behandlung beginnen, und Sie können gehen, in ein, zwei Tagen vielleicht. Wir wollen Sie nicht länger hierbehalten, als es Ihnen lieb ist, glauben Sie mir.«
    Harry zuckte verärgert zusammen und stand auf, um aus dem Fenster zu blicken. »Ich glaube, Sie haben nicht gehört, was ich gesagt haben«, knurrte er über die Schulter.
    Was ich hier sah, gefiel mir nicht. Harry war genauso mürrisch wie in der Notaufnahme, aber um einiges unruhiger, und das war keine gute Kombination. Patienten, die unter starken Depressionen leiden, mögen an Selbstmord denken, doch ihnen fehlt die Energie, es zu tun. Der schwierigste Augenblick ist der, wenn sie sich ein wenig besser fühlen und ihre Handlungsfähigkeit zurückgewinnen. Zudem war er wütend, und das beunruhigte mich. Selbstmord ist ein feindseliger Akt, nicht nur gegenüber sich selbst, sondern auch gegenüber dem Menschen, dem der Selbstmörder die Schuld an seiner Misere gibt.
    Alles in allem war ich nicht geneigt, Harry zu entlassen, bevor er nicht stabiler war und ich ein besseres Gefühl dafür hatte, was in seinem Kopf vorging. Rein rechtlich war ich in einer sehr viel besseren Position als er. Da er sich selbst eingewiesen hatte, konnte er jederzeit um seine Entlassung bitten. Doch das Krankenhaus hatte die Möglichkeit, ihn zweiundsiebzig Stunden festzuhalten, bevor seine Anwälte ihn rausholen konnten. Es wäre eine Katastrophe, wenn es so weit kommen würde, schließlich hatte Harry den Krankenhausflügel finanziert, in dem er festgehalten wurde, doch ich ging nicht davon aus, dass es so weit kommen musste. Drei Tage müssten reichen, sofern er sich beruhigte.
    »Was macht Ihnen Sorgen, hier zu sein?«
    »Ich kann nicht schlafen«, antwortete er und wandte sich zu mir um. »Das Bett ist unbequem, die Decken sind dünn, ich habe die ganze Nacht gefroren. Der Verkehrslärm hat mich wach gehalten. Es geht mir gut, begreifen Sie das nicht? Mit mir ist alles in Ordnung.«
    Ich lauschte dem Rauschen des Verkehrs auf dem Franklin D. Roosevelt Drive. Für New York war es ziemlich normal – und um einiges leiser als in meiner Wohnung, doch darum ging es hier nicht. Angst und Wohlstand hatten Harry hypersensibel gemacht. Die Fadenzahl der Laken war nicht so hoch, wie er es gewohnt war, und es gab keine Daunendecke. Wenn es ihm wirklich gut ginge, hätte er all das nicht bemerkt.
    »Es tut mir leid, Mr Shapiro. Vielleicht können wir das zusammen mit Ihrer Frau besprechen und einen Behandlungsplan aufstellen. Wir werden uns sicher einig, wie es weitergehen soll.«
    Harry stieß ein zynisches Grunzen aus, doch er erklärte sich wenigstens bereit, auf Nora zu warten. Auf dem Weg zurück nach Zwölf Süd überdachte ich meine missliche Lage. Da Jim nach Westchester abgerauscht war, oblag die Verantwortung für Harry allein mir. Obwohl ich mir gewünscht hatte, ihn behandeln zu können, erwies sich die Sache als knifflig. Ich konnte ihn nicht guten Gewissens sofort entlassen, doch er besaß sehr viel mehr Macht als die meisten Patienten − und keinerlei Gewissensbisse, sich ihrer zu bedienen.
    Meine größte Hoffnung war Nora.
    Eine Stunde später befand ich mich in einem Raum, den wir großzügig die Bibliothek nannten, mit ein paar Büchern und einem Computer, von dem Patienten E-Mails verschicken konnten, und hörte Lydia Petrovsky zu, einer Patientin, die mich an einen Vogel erinnerte und die seit einer Woche bei uns war. Im Gegensatz zu Harry zeigte sie keinerlei Anzeichen, uns verlassen zu wollen − ganz im Gegenteil −, doch ihre Versicherung drohte, nicht länger für die Kosten aufzukommen, und die Verwaltung wollte sie loswerden. Während ich sie davon zu überzeugen versuchte, zurück in ihre Wohnung zu gehen und sich in einer Tagesklinik
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