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Die Diagnose: Thriller (German Edition)

Die Diagnose: Thriller (German Edition)

Titel: Die Diagnose: Thriller (German Edition)
Autoren: John Gapper
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ich konnte mich nicht um jeden Gestörten kümmern, der von der Straße hereinspazierte. Man brauchte doch nur mal U-Bahn zu fahren, um zu erkennen, wie viele von denen es gab.
    »Wer ist er?«, fragte ich mit einem Seufzer.
    »Ein gewisser Harold Shapiro. Harold L. Shapiro. Und seine Frau, Nora Shapiro, hat ihn hergebracht«, sagte sie, als sei mit der Nennung der Namen alles gesagt. Und das war es.
    »Ich bin in einer Minute da«, sagte ich.
    Machen Sie keine Ausnahmen , wurde uns immer wieder eingeschärft, es kommt nichts Gutes dabei heraus . Doch wenn es jemanden gab, der als Sonderfall zu behandeln war, dann Harry Shapiro. Ich kannte ihn nicht, obwohl ich in der New York Times gelesen hatte, dass er in der Finanzkrise seinen Posten als Vorstandsvorsitzender einer Wall-Street-Bank verloren hatte. Der Artikel deutete an, er habe es verdient, weil ihm nicht bewusst gewesen sei, welche Risiken seine Bank einging. Doch eines wusste ich: In diesem Augenblick stand ich im Harold-L.- und-Nora-Shapiro-Pavillon, einem Flügel des New Yorker Episcopal Hospital, der verschiedene Stationen beherbergte, darunter Zwölf Nord und Süd.
    Die Shapiros hatten dem Krankenhaus 35 Millionen Dollar gespendet, damit es sich über den Franklin D. Roosevelt Drive ausdehnen konnte, und eine Plakette mit ihren Namen begrüßte jeden Fahrer, der durch den Tunnel unter dem Krankenhaus durch nach Norden fuhr. Sie waren also auf jeden Fall ernst zu nehmen, besonders wenn er krank war. Ich hatte miterlebt, was passierte, wenn Spendengeber in das Krankenhaus kamen, das sie mitfinanziert hatten. Heimliche Anrufe aus der Chefetage oder sogar von Verwaltungsratsmitgliedern würden nicht lange auf sich warten lassen. Überschlagen Sie sich nicht , würden sie sagen, aber tun Sie alles, was in Ihrer Macht steht . Normalerweise befolgten wir den Hinweis.
    Ich beschloss, meinen schizophrenen Patienten eine Weile sich selbst zu überlassen. Er war nicht in Gefahr, auch wenn er nicht ganz auf dem Damm war. Als ich runter in die Notaufnahme kam, fand ich Maisie im Arztzimmer am Ende des Flurs.
    »Ja … ja … ich sorge dafür, dass er es erfährt«, sagte sie im Tonfall von jemandem, der mit den Autoritäten focht, ins Telefon.
    Maisie sah mich fragend an, und ich schüttelte den Kopf. Ich wollte nicht, dass irgendjemand an der Behandlung herumkritisierte, bevor ich den Patienten überhaupt gesehen hatte. Stumm hob sie vier Finger: Zimmer vier. Harry saß auf der Liege in dem Behandlungszimmer, er trug ein Ralph-Lauren-Poloshirt, eine Hose und einen Blazer. Die Schultern und den Kopf ließ er hängen, und er zitterte. Das Zittern konnte ein Symptom für Angst oder Unruhe sein, doch es war eiskalt im Raum. Ich schwöre, die kühlen diese Räume absichtlich runter. Wie oft hatten wir den Hausmeisterdienst schon gebeten, sich darum zu kümmern, doch nichts geschah.
    Zimmer vier war identisch mit den anderen Behandlungszimmern im Flur. Es enthielt eine harte Liege, die so konstruiert war, dass niemand sich selbst oder dem Personal damit etwas antun konnte, und einen Plastikstuhl. Zum Flur hin war ein großes Fenster, damit das Pflegepersonal denjenigen, der darin saß, nach Belieben beobachten konnte. Was es von den anderen Zimmern unterschied, war ein schlechtes Ölgemälde einer italienischen Küstenstadt mit roten Dächern, das an die Wand geschraubt war, falls jemand versuchen sollte, damit Schaden anzurichten. Ein nicht ganz rechtschreibfester Patient hatte daraufgekratzt: »Zug nach Tijooana«. Auch darum hatte sich der Hausmeisterdienst nicht gekümmert.
    Die Tatsache, dass Harry noch seine eigene Kleidung trug, war ein Grund zur Sorge, und mir entging nicht, dass Pete O’Meara, der Sicherheitsmann der Notaufnahme, sich mit unglücklicher Miene in der Nähe der Tür herumdrückte. Er hatte ein großes, hängebackiges Gesicht und war in der Lage, die meisten bedrohlich wirkenden Patienten in den Griff zu bekommen. Doch in Harry hatte er seinen Meister gefunden.
    »Hallo, Mr Shapiro«, sagte ich. »Ich bin Dr. Cowper, Oberarzt der Psychiatrie. Ich würde mich gern mit Ihnen unterhalten, aber würde es Ihnen etwas ausmachen, vorher einen Kittel anzuziehen? Das ist hier bei uns so üblich.«
    Als Harry den Kopf hob, sah ich zum ersten Mal seine dunklen Augen und wusste sofort, warum Pete einen Rückzieher gemacht hatte: Sie waren wie die Kohlen eines Feuers, das erstorben war, das aber jeden Augenblick wieder aufflammen konnte, wenn man es schürte. Von
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