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Marienplatz de Compostela (German Edition)

Marienplatz de Compostela (German Edition)

Titel: Marienplatz de Compostela (German Edition)
Autoren: J.M. Soedher
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Vermisst
    Die Stimme klang sanft und mitfühlend. »Aber das tut doch noch gar nicht weh.« Es war der einzige Satz, den er seit Tagen gesprochen hatte. Vielleicht träumte sie deshalb so oft davon: Aber das tut doch noch gar nicht weh. Immer wieder hörte sie es, hallend und kalt. Aber das tut doch noch gar nicht weh.
    Es kostete sie viel Kraft, diese Worte von sich fernzuhalten. Starr lag sie da. Ihr Geist löste sich von den Schrecken des Traums und entließ sie in eine trostlose Wirklichkeit.
    Ob ihre Karte angekommen war? Und wichtiger noch – konnte jemand mit dem, was sie geschrieben hatte, etwas anfangen, den Inhalt deuten? Sie ließ den Gedanken sein, denn ihre Hoffnung war nicht groß.
    Nur langsam entstieg sie dem Dämmerzustand, in den sie nicht hatte fallen wollen. Das Unbehagen darüber, dass es doch geschehen war, erfasste ihr Gemüt nicht ausnehmend heftig. Vielleicht hatte es ja etwas Gutes. Lethargie war in ihrem bisherigen Leben nur ein Wort gewesen – jetzt konnte sie einen erlebten Zustand damit verbinden. Einen Zustand, gegen den sich ihr Inneres allerdings immer wieder zur Wehr setzte. Eine Aufgeberin war sie nicht.
    Im Wachwerden erinnerte sie sich an die Träume, die diese bunten Bilder mit den kräftigen Farben zu ihr gebracht hatten. Vor allem Grün war es gewesen. Lebenssattes Grün.
    War sie in dieser Traumhandlung in der Natur unterwegs oder war es nur ein virtueller Farbteppich gewesen? Sie versuchte sich zu erinnern, streckte dabei die Beine aus und bewegte vorsichtig die Hüfte. Es tat weh.
    Menschen hatten in ihrem Traum keine Rolle gespielt, wenngleich Gestalten zugegen gewesen waren; doch ohne erkennbare Gesichter, und mit Körpern, denen keine Persönlichkeit zuzuordnen war, wie man das machen konnte, wenn man sie gut kannte, und wusste, mit welcher Eigenart sie dastanden, welche Dynamik ihr Gang besaß, wie sie ihren Kopf oder ihre Hände bewegten.
    Nein, in ihrem Traum waren es nur die Farben gewesen, die wirklich lebten, während diese entmenschlichten Wesen weiter keine Funktion erfüllten, als nur die, eine Ahnung von Angst und Düsternis in das farbenfrohe, virtuelle Sein zu legen.
    Sie begann damit ihren gesamten Körper zu dehnen, zu strecken, alle Extremitäten und Muskeln zu belasten und wieder zu entlasten. Das Dröhnen in ihrem Kopf war verschwunden. Zunächst hatte sie sich nicht getraut in sich hineinzuhören, vor lauter Angst, diese betäubende Dumpfheit könnte immer noch da sein und sich erneut in ihr ausbreiten, wie ein zäher, lähmender Brei. Gerade jetzt, wo sie alle ihre Sinne, alle ihre Kraft brauchte.
    Boden und Wände fühlten sich kalt an und die dünne Matte auf dem Boden hatte auch nur ihr Körper leidlich angewärmt. Es war das Letzte gewesen, was sie beschafft hatte, bevor sie zur großen Tour aufgebrochen war.
    Sie sah den Typen, der ihr die Matte verkauft und alle ihre Vorteile aufgezählt hatte, wieder vor sich. In seiner Jack-Wolfskin-Uniform hatte er dagestanden, und das mitten in München, in einem klimatisierten modernen Kaufhaus. Drollig. »Mit der können Sie sogar auf der Straße schlafen«, hatte er mit ernstem Gesicht gesagt.
    Jetzt lag sie hier. Die Augen hatten sich schnell an das Dunkel gewöhnt, überraschend schnell, und viel schneller als die Seele dazu bereit war. Das schmuddelige Grau brachte ein wenig Helligkeit. Schwarze Furchen an den Wänden zeigten die Stellen, an denen Wasser herabrann. Ganz am Anfang hing ihr der schimmlige Muff in der Nase, aber auch daran hatte sie sich inzwischen gewöhnt. Trotz der Situation schaffte sie es, eine gewisse Nüchternheit zu bewahren und ihr Körper gehorchte den Gesetzen der Physik und nicht dem Diktat ihrer Emotionen. Es war gut, dass der Körper, solange er gesund war, die Naturgesetze achtete, den Regeln der Physik folgte und sich keine Individualitäten erlaubte. Das tat jener Teil, den man Persönlichkeit nannte, zur Genüge und verschaffte einem Probleme, mit seiner ständigen Gier nach Individualität. Tiere kamen ihr plötzlich in den Sinn und sie schob den Gedanken mit Macht zur Seite, denn er machte sie schwach. Diese Augen.
    War es Tag, oder war es Nacht?
    Sie kroch zur Wasserflasche. Die Kettenglieder klirrten am blanken Boden. Auch das erschreckte sie nicht mehr.
    Einen Schluck. Mehr erlaubte sie sich nicht. Lange spülte sie den Mund und achtete auf den Moment, an dem das Wasser durch die Kehle rann.
    Sie sprach laut einige Worte, die keinen Sinn ergaben, nur um ihre
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