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Die Narrenburg

Die Narrenburg

Titel: Die Narrenburg
Autoren: Adalbert Stifter
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Die Narrenburg
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    Tags: Erzählung
    Adalbert Stifter: Die Narrenburg
Sich-Einschreiben in die Geschichte, genauer: in die genealogische Geschichte einer Familie. Aber nicht, durchs Leben und Sterben, Werden, Treiben und Vergehen in aller Selbstverständlichkeit. Sondern, Buch führend und Vorgeschichten lesend: buchstäblich. Dies ist, in seiner Buchstäblichkeit, eine Verdopplung; und diese Verdopplung ein Unglück. Ja, mehr als das: eine Belastung, ein Fluch. Die Inschrift, als Verdopplung des Lebens, die Lektüre der Genealogie in aller Ausführlichkeit: eine Narrheit, die der Burg (als Welt) der Scharnasts den Namen gibt: die Narrenburg.
Es beginnt, sehr ungewöhnlich, nicht mit einem installativen Stifterschen Natureingang, sondern mit einem geradezu Kleistschen ersten Satz: "Hans von Scharnast hatte ein lächerliches Fideikommiß gestiftet." Es geht um Erbe und Recht, verknüpft durch den Eid, mit dem man sich verpflichtet. Zum Lesen wie zum Schreiben. (Aber im Eid bindet das "Ich" sich an ein "Es", das im Moment der Verpflichtung immer unabsehbar bleibt. Hier: Als Vergangenheit, die jede Gegenwart einholt.) Das eigene Leben wird zum Exempel in der genealogischen Reihe der Exempel. Wer die Scharnast-Burg(Welt) erbt, muss ins Arkanum des Roten Steins gehen, muss lesen, was geschrieben steht. Mit dieser Lektüre kommt Bewusstsein in die Welt. Der Stifter Scharnast unterstellt, dass aus den Erzählungen, zu denen die Leben der Vorfahren verfasst sind, Lehren zu ziehen seien. Der Erzähler Stifter sagt ein ums andere Mal: lächerlich.
Genauer gesagt: kontraproduktiv. Denn die neuen Besitzer nehmen sich gerade am detailliert überlieferten Irresein der Vorfahren "ordentlich (...) ein Exempel" und tun "so viel verrücktes Zeugs (...), als nur immer in eine Lebensbeschreibung hineingeht". Nicht anders denn als Exempel kann nun die Geschichte, die Stifter erzählt, dienen, als Exempel von einem freilich, der sich von außen nähert, einem, der selbst "lächerlich" genug daherkommt, aber doch neu und anders sich aneignen muss, was ihm gehört – und wohin er gehört. Auftritt er "wie ein wandelndes Kreuz" – und ein leiser christologischer Zug liegt genau darin, dass er sich und sein Geschlecht vom Fluch des Lebens und Schreibens mutmaßlich erlöst. (Aber sterben muss er dafür nicht, was angesichts der Selbsterlösung, um die es zu tun ist, auch kein Wunder ist. Und über die Gewissheit des Heils, das im Ende liegt, muss man diskutieren. "Und so, du glückliches Paar, lebe wohl!" Das ist weniger eine Erlösung als eine Entlassung in die Zukunft. Andererseits: Die Eröffnung einer Zukunft im Einschreibungszwangszusammenhang der Scharnasts ist womöglich genau und gerade der einzige Akt der Erlösung. Es steht von den Scharnasts weiter nichts geschrieben. In Aussicht gestellt wird am Ende nur das Nachholen von Vorgeschichten – eingelöst mit der "Mappe des Urgroßvaters" und dem "Prokopus".)
Der Held und womögliche Erlöser seines Geschlechts bleibt lange namenlos – spät erst wird er, im Ausruf der Geliebten, ein Heinrich. Der Übergang in die symbolische Ordnung der Genealogie erfolgt später – und in seltsamer Verkennung: durch Ruprecht, das Gespenst des Schlosses, grau wie das Schloss selbst, als Sixtus, dem er gleich sieht, der er aber nicht ist. Diese verkennende Einschreibung ist vielleicht weniger Kontinuität als Diskontinuität, zerreißt den Zusammenhang von Vergangenheit und Gegenwart, öffnet einen Zeit-Raum des Heils im Unheilszusammenhang. In diesem Zeitraum siedelt sich – wenn das geht – auch Stifters eigenes Erzählen an. "Allein der Zweck der vorliegenden Blätter führt uns aus dieser harmlosen Gegenwart, die wir mit Vorliebe beschrieben haben, einer dunklen schwermütigen Vergangenheit entgegen, die uns hie und da von einer zerrissenen Sage oder einem stummen Mauerstücke erzählt wird, denen wir es wieder nur ebenso dunkel und mangelhaft nacherzählen können." Eingeleitet wird damit jedoch nicht eigentlich ein Rückblende, sondern nur der Besuch des Schlosses. Die Vergangenheit wird nacherzählt zunächst nur als in die Gegenwart als Ruine ihrer selbst eingeschriebene. Das Mauerstück zeugt, zerrissen und stumm, aber zur Erzählung – und damit zur Verlebendigung – auffordernd, vom Vergangenen. Dies aber wird nicht vom Erzähler verlebendigend vor Augen gestellt, sondern nur – dazu gleich mehr – als Präsentation eines Schriftstücks, Heinrich und zugleich dem Leser
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