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Das Geloebnis

Titel: Das Geloebnis
Autoren: Pearl S. Buck
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entfernt, und sie alle restlos zerstört. Die Männer von Mei waren voll Zorn – aber hilflos.
    Ling Tan saß da, die Wasserpfeife in der Hand, und hörte diese finstere Nachricht. »Ich kann es nicht glauben«, sagte er.
    Aber sein Mund wurde trocken. Denn der junge Mann fuhr fort, eine völlig abgeschlossene Geschichte zu berichten, und Ling Tan sah ein, daß es Menschen, die nicht achtgaben, so ergangen sein mochte. Wenn die Männer von Mei unachtsam waren, konnte es so gewesen sein. Und nur allzu gut kannte er die schlaue Geschicklichkeit des Feindes. Er forderte den jungen Mann zum Eintreten auf und ließ ihn die ganze Geschichte nochmals vor den Söhnen erzählen. Dann hieß er seine Söhne, die andern Männer des Dorfes zu holen, und als sie sich bei Ling Tan im Vorhof versammelt hatten, mußte der junge Mann abermals seine Geschichte berichten. Jedesmal erschien sie wahrscheinlicher.
    Nachdem Ling Tan sie zum drittenmal gehört, klopfte er die kalte Asche aus seiner Pfeife, die er zu rauchen vergessen hatte. Dann wandte er sich an Ling Sao. »Mach mir mein Bett zurecht«, sagte er. »Ich muß mich niederlegen, und ich weiß nicht, ob ich jemals wieder aufstehen werde.«
    Alle erschraken über diese Worte, und alle drängten ihn, die Hoffnung nicht aufzugeben. Sie sagten ihm, daß ja noch immer die Männer von Ying vorhanden seien, die nicht vernichtet worden waren, aber er hörte sehr wohl die Unsicherheit in ihren Stimmen, und er schüttelte den Kopf.
    »Mach mein Bett zurecht, Mutter meiner Söhne, mach mein Bett zurecht«, sagte er.
    Elf Tage lag er in seinem Bett mit geschlossenen Augen, und während dieser ganzen Zeit nahm er keine richtige Mahlzeit zu sich, noch wusch er sich richtig. Am zwölften Tag hatte Ling Sao Gesicht und Hände mit Asche bedeckt, als sie hereinkam, und in der einen Hand trug sie ein langes Stück rauhen Trauerstoffs. Sie weinte laut.
    »Wenn du stirbst, schlucke ich die goldenen Ohrringe, die du mir geschenkt hast«, sagte sie. »Ich kann ohne dich nicht leben, Alter.«
    Dann kamen seine Söhne mit ihren Frauen und Kindern herein, und sie baten ihn weinend, um ihrer aller willen aufzustehen und sich zu waschen und zu essen.
    Aber Jade sprach das Wort, das ihn in Bewegung brachte. »Willst du dich schließlich vom Feinde töten lassen, nachdem du uns in all diesen Jahren Mut gemacht hast?«
    Eine Weile dachte er nach, während sie ihn verschmitzt betrachtete. Dann richtete er sich mühsam auf. »Du hast das richtige Wort gefunden, um mich zum Leben zu bringen, obwohl ich mich nach dem Tod sehnte«, erklärte er mit mattem Zorn.
    Nichtsdestoweniger stand er auf. Seine Söhne sprangen hinzu, um ihm zu helfen, und die Frauen gingen fort, während er sich unter dem Beistand seiner Söhne wusch und anzog. Danach aß er eine Schale Suppe mit zwei Eiern, die Ling Sao schon bereithielt, und so begann er wieder zu leben.
    Aber nie mehr wurde er, was er gewesen. Sein Rücken war schwach, und wenn er ging, hielt er sich an der Wand oder am Tisch fest, oder er stützte sich auf einen Sohn oder auf Ling Sao. Niemals erwähnte er mehr den Krieg, den Feind, noch die Hoffnung, die er verloren. Von da an war Ling Tan ein alter, alter Mann; sie sahen es alle, abwechselnd nahmen sie sich seiner an, und nie mehr ließen sie ihn unbeaufsichtigt.
    Nach jenem Tag vermochte sich Ling Tan nie mehr recht zu erinnern, was ihm gesagt worden war, und am meisten ergrimmte es ihn, daß er sich nicht entsinnen konnte, wo sich sein dritter Sohn befand. Immer wieder vergaß er, daß Jade ihm einen Brief vorgelesen hatte, der kürzlich von Mayli gekommen war, und jeden Tag fragte er danach und behauptete, nichts davon gehört zu haben. So las sie ihm die Briefe geduldig mehrmals vor. Eines Tages, als sie ihm einen vor einer Woche eingetroffenen Brief zum sechstenmal vorgelesen hatte, streckte er die Hand aus und sagte: »Gib mir den Brief.«
    Jade gab ihm den Brief, den er in die rechte Hand nahm. Während er den Brief festhielt, begann seine Hand mit jenem leichten Beben zu zittern, das er nicht verhindern konnte, sosehr er sich auch bemühte. Es war mit seiner Schwäche gekommen, und es machte ihn stets wütend.
    »Sieh nur meine Hand an«, sagte er voll Zorn, als gehörte die Hand ihm nicht. »Schau, sie zittert wie ein welkes Blatt, das vom Baum fallen will!«
    Jade verlegte das Gewicht des Kindes, das sie auf dem Arm hatte. Einen ihrer Zwillingssöhne trug sie stets bei sich, und welchen sie nicht im Arm
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