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Nachtblind

Nachtblind

Titel: Nachtblind
Autoren: John Sandford
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    Als der Mann an diesem Morgen aufwachte, dachte er nicht daran, irgendeinen Menschen zu töten. Er wachte auf mit dem Kopf voller Blues-Musik, einem Gehirn, das zu groß für den Schädel zu sein schien, und einer Blase, die jeden Moment zu platzen drohte. Er blieb mit geschlossenen Augen liegen, und sein Atem strich über eine Zunge, die nach verbrannten Hühnerfedern schmeckte. Die Blues-Musik dröhnte durch die Schlafzimmertür herein.
    Schwer, wieder in die Welt zurückzufinden …
    Er war drei Tage lang durch einen Kokain-Nebel geschwebt, hatte alles mitgenommen, was sich ihm geboten hatte – alles . Dann, vergangene Nacht, als er langsam wieder in die Realität zurückzufinden begann, hatte er bei einem Getränkeladen angehalten und sich eine Flasche Stolichnaya gekauft. In seinem gepeinigten Gehirn stieg das Bild auf, wie er die Flasche aus dem Regal nimmt, dann ein weiteres Bild, wie er mit dem Kassierer diskutiert, der seine Hundertdollarnote nicht wechseln will …
    Zu diesem Zeitpunkt war er noch immer so stoned gewesen, dass er es kaum mehr ausgehalten hatte; und der Stoli hatte sich als schlechte Idee erwiesen. Nach einem dreitägigen Koks-Trip war nicht mit einer sanften Landung zu rechnen gewesen, aber der Wodka hatte aus dem Unfall mit Überschlag und Finale auf dem Dach einen brutalen Frontalzusammenstoß mit sofortigem Feuerausbruch gemacht. Jetzt musste er für alles die Zeche bezahlen. Wenn man seinen Schädel aufschlitzen und das Gehirn rausschütteln würde, dachte er, hätte er das Aussehen eines Klumpens geronnener Campbell-Bohnensuppe.
    Er riss die Augen auf, hob den Kopf und sah auf die Uhr. Kurz nach sieben. Er hatte vier Stunden geschlafen. Zu wenig für den Koks-Trip, und der Stoli hatte alles nur noch verschlimmert. Wenn er zehn oder zwölf Stunden liegen bleiben könnte – besser noch sechzehn –, würde er das Schlimmste wahrscheinlich hinter sich haben. So aber musste er sich durchbeißen …
    Er drehte sich nach links, wo eine Frau mit milchweißem Spülwasserhaar das Gesicht ins Kissen vergraben hatte. Er konnte nur einen Teil ihres Kopfes sehen; der Rest steckte unter dem Zipfel einer flauschigen roten Bettdecke. Sie lag reglos da, wie eine Tote – aber dieses Glück war ihm nicht beschieden. Er schloss wieder die Augen, und in der realen Welt existierte nichts mehr als die Blues-Musik, die aus dem Nebenzimmer hereindröhnte, vom All-Blues-Channel des Fernsehers, neunhundertundirgendwas auf der Kanalskala. Er hatte heute Nacht offensichtlich vergessen, das Gerät auszuschalten …
    Ich muss aufstehen, dachte er. Muss pinkeln gehen. Muss zwanzig Aspirin-Tabletten schlucken, mich runter zum Country Kitchen schleppen und mir ein paar Pfannkuchen und Würstchen holen …
    Der Mann wachte nicht mit dem Gedanken an Mord auf. Er wachte auf mit Gedanken an seinen Kopf und an seine Blase und an einen Stapel Pfannkuchen. Seltsam, wie die Dinge manchmal ihren Lauf nehmen …
    Am folgenden Abend, als er zwei Menschen tötete, war er dann tatsächlich auch ein wenig geschockt …
     
     
    Die grünäugige Alie’e Maison stand im Rumpf eines rostigen Mississippi-Frachtkahns. Sie war in ein Designer-Kleid gehüllt, das wie sanfter Schaum über einem Riff im Karibischen Meer wirkte – ein knöchellanges Modell, das exakt der blassgrünen Jadefarbe ihrer Augen entsprach, raffiniert einfach geschnitten und hauchdünn, ihre Hüfte umschmeichelnd, an den Knöcheln leicht ausgestellt. Die elfenhafte, großäugige Alie’e floh barfuß vor irgendetwas eine hellgelbe dicke Kiefernplanke hinunter, die im Licht der Scheinwerfer wie ein Feuerstreifen aus dem purpurroten Glimmen des Rumpfinneren emporragte.
    Hinter ihr erzeugte ein großer Mann in einem ärmellosen weißen T-Shirt, einer verdreckten Sears-Roebuck-Arbeitshose und Arbeitsstiefeln der Größe zehn mit einem Schweißbrenner sprühende Funken aus einem Stück Schmiedeeisen. Er trug einen schwarzen, gewölbten Schweißerhelm, und ätzender grauer Rauch kringelte sich um seine dicken, zur Hocke gebogenen Beine. Der glatte, roboterhafte Plastik-Gesichtsschutz ließ ihn in Verbindung mit den haarigen Armen, dem schmutzigen T-Shirt, dem Rauch und den angespannten Beinen wie ein zum Sprung bereites groteskes Ungeheuer aussehen.
    Ein Fantasiebild zu dreitausend Dollar die Stunde.
    Und doch irgendwie nicht ganz echt wirkend.
     
     
    »Scheiße, das ist nicht gut! N ICHT GUT , VERDAMMT NOCH MAL !«
    Amnon Plain trat ins Licht der
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