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Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition)

Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition)

Titel: Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition)
Autoren: Anna Fuchs
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so viel Luft zum Atmen hatte er plötzlich. Wie sehr berauschte ihn die Erinnerung an gestern, jenen Tag, an dem er seiner Mutter beim Sterben zugesehen hatte!

    *

    Mit verklärtem Blick, verklärter noch als der der Jungfrau Maria im Seitenschiff des nahen Stephansdoms zu Wien trug Meisterin Cäcilia fein säuberlich Zahlen in einer langen Spalte in das Wirtschaftsbuch ein. Gefällig betrachtete sie ihre verschnörkelte Handschrift, und ein wohliger Seufzer entfuhr ihrer schmalen Brust. Die Summen wurden immer höher, keine Frage, die Wiener Bürger kümmerten sich rührend um das Wohlergehen der reuigen Sünderinnen im Kloster Sankt Hieronymus. Oder die ehemals männliche Kundschaft hatte sprichwörtlich ›Dreck am Stecken‹ und wollte sich mit so manchen Gulden das Gewissen reinwaschen, wie der Badewaschel das mit ihrem Buckel machte, wenn sie einmal in der Woche im warmen Wasserschaff saßen. So entrichteten sie in schöner Regelmäßigkeit ihren Obolus an das Kloster, auf dass die ehemaligen Dirnen nur ja gründlich von den Schwestern der Heiligen Maria Magdalena von der Buße geleitet und aus seelischer Verwahrlosung hin zu Gottesfürchtigkeit erzogen werden konnten. Wenn es so einfach wäre, sich von früheren Ausschweifungen loszukaufen, dachte Meisterin Cäcilia mit säuerlichem Lächeln, doch ihr konnte es recht sein. Neben erklecklichen Summen auf der hohen Kante besaß das Kloster einen Garten in der Leopoldstadt und Weingärten in Grinzing und Nussdorf. Als Cäcilia gerade lustvoll dabei war, rein überschlagsmäßig die Einnahmen festzulegen, und so wie immer herzlich bedauerte, dass den Büßerinnen der Ausschank von Eigenbauwein strengstens untersagt war, drang absolut unheiliges, lautes Zetern und Schimpfen an das Ohr der Meisterin. Erschrocken fuhr Cäcilie auf, um gleich darauf wütend mit der Faust auf ihr Schreibpult zu schlagen, wobei das darauf liegende Buch einen Hüpfer nach vorn machte. Rasch stand sie auf, strich über ihr grobes weißes Habit und senkte demütig den Kopf.
    »Geduld und Demut, Heilige Jungfrau, Geduld und Demut …«, murmelte die hagere Frau, umfasste mit ihrer rechten Hand ein hölzernes Kruzifix, das um ihren dürren Hals baumelte, und schickte sich an, ihre persönlichen Räume zu verlassen. Erstaunlich schnell für ihr doch schon fortgeschrittenes Alter bewältigte sie die steilen Stufen, hurtig lief sie an der Kapelle vorbei, schlug rasch ein Kreuzzeichen und beugte ihr spitzes, knotiges Knie, hastete weiter an den Schlafsälen der Büßerinnen vorbei und öffnete mit einem kräftigen Ruck die schwere Eichentür zum Wirtschaftshof.
    »Geduld und Demut, Heilige Jungfrau …«, zischte sie, als sie augenblicklich mitsamt ihren Holzschuhen bis zu den Knöcheln im Schlamm versank, denn im ungepflasterten Hof bildete der schmelzende Schnee schmutzige Lachen. Fröstelnd wegen des scharfen Märzwindes, aber unbeirrt setzte Cäcilia ihren Weg fort. Immer lauter drang das Gezeter an ihr Ohr. Keine Frage, sie hatte wieder einmal untrüglich erraten, woher der ganz und gar unchristliche Lärm kam, der die kontemplative Stille des Klosters erschütterte. Vor dem Küchenhaus blieb die Meisterin plötzlich stehen. Leise öffnete sie die wurmzerfressene Holztür einen Spaltbreit, und sofort schlug ihr der beißende, fettgeschwängerte Rauch der offenen Herdstelle entgegen. Ihre kleinen, listigen Augen begannen zu tränen, doch fest wie ein Holzpflock blieb sie stehen und lugte angestrengt und schniefend in die Klosterküche.
    »Yrmel, jetzt schau doch net so deppert … du tust ja grade, als ob du noch nie ein paar Mannsbilder gesehen hättest. Vor mir kannst di net verstellen, ich weiß, wo du noch vor wenigen Tagen dein Geld verdient hast. Also jetzt hör auf mit dem theatralischen Augenrollen und Zähnefletschen, schab die Rüben und putz den Kohl, sonst gibt’s am Abend keine Suppe!«
    Schwitzend nach dieser Schimpftirade fuhr sich die beleibte Frau, die wie alle hier im Kloster das einfache helle Habit trug, über die Stirn. Nur mit einem Unterschied: Statt eines Gürtels, wie bei allen anderen, umfing eine Schürze in Leintuchgröße ihre nicht enden wollende Taille und bedeckte gnädig den vorstehenden Bauch. Wieder setzte sie an zu schimpfen:
    »Herrschaftszeiten, Marlen, mach den Mund zu, es zieht! Du sollst den Teig da durchkneten, den brauch ich doch für das Fladenbrot. Hör sofort auf, den Jammergestalten da dauernd auf den Hosenschlitz zu schauen!«
    Erschrocken
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