Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition)

Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition)

Titel: Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition)
Autoren: Anna Fuchs
Vom Netzwerk:
froh, ein Mann zu sein, der über genügend Kraft verfügte. Froh für sich und vor allem froh für die arme Frau, die lautlos vornüber sank, und deren Oberkörper halb in der Wiege zum Liegen kam. Sofort färbte sich die Überdecke, mit der der Säugling zugedeckt war, rot mit Blut.
    »Blut, Blut, nichts als Blut«, wimmerte der Bischof, zog, von plötzlicher Panik übermannt, die Leiche der Wehmutter weg und ließ sie zu Boden sinken. Er atmete durch, riss die blutige Überdecke weg und fasste das kleine Kind sanft mit denselben Händen, die kurz zuvor den Schürhaken geschwungen hatten. Er drückte den Säugling an sich, wickelte ungeschickt ein langes Tuch über seinen eigenen Oberkörper und das Kleine, nestelte an einem einfachen Knoten herum und breitete den schweren Bischofsmantel darüber. Mit einer Hand hielt er das Gesäß des Säuglings, mit der anderen griff er zum Türknauf.
    Sein Blick schweifte noch einmal über das Zimmer, wo in den letzten Stunden das Grauen gewohnt hatte. Er sah die Gestalt im Bett und die zweite am Boden liegen mit einem faustgroßen Loch im Kopf. Dann hielt ihn nichts mehr. Wie von tausend Teufeln gejagt stürzte er die Treppe hinunter, ließ sein Pferd satteln und nickte dem gedungenen Diener zu. Der Bischof war sich sicher, dass der treu Ergebene alle Spuren verwischen würde, und der Burgherr selbst, der ja schon bald zurückerwartet wurde, nicht das Geringste ahnen würde. Alles Menschliche würde schweigen, und die dicken Mauern würden die Geschehnisse der letzten zwei Tage verschlucken.
    Bewegungslos lag der Säugling im Tuch festgebunden, hatte sein kleines Köpfchen an die breite Brust gepresst, und der Bischof ertappte sich dabei, wie er zwei Finger an die kleine Nase hielt, um zu spüren, ob das Kind überhaupt noch atmete.
    Er führte sein Pferd am Zügel und verfluchte das starke Gefälle und die Dunkelheit der Nacht. Er dankte Gott, dass es erst Anfang September war, denn ein paar Wochen später und hier heroben hätte bereits Schnee liegen können. Dann wäre der Abstieg von der Burg herunter ins Sarntal unmöglich gewesen. Die ganze Zeit über hielten seine großen, starken Hände das Kleine, das er sich vor die Brust gewickelt hatte.
    »Was für ein Schicksal mag dich nur erwarten, du kleiner Erdenwurm …«
    Er gedachte nun, den letzten Teil der Anweisungen zu befolgen und rief sich den genauen Wortlaut ins Gedächtnis.
    »Dann nehme Er das Kind und stecke ihm das in die Windel«, damit schwenkte die Gräfin den Lederbeutel, »gebe es dem Minderen Bruder in meinem Tross, der sich in Bozen formiert hat und auf die Reise nach Wien wartet. Er vergesse nichts, das ist von unglaublicher Wichtigkeit, hat Er das verstanden?«, hämmerte es in seinem Gehirn.
    Wie in Trance zog der Bischof den Lederbeutel mit dem abgerissenen Teil der Stola aus seinem Gürtel und steckte diesen in die Windel des Neugeborenen. Plötzlich stiegen ihm Tränen in die Augen, als er erkannte, wie klein, wie schutzlos und ausgeliefert dieses kleine Wesen war. Allzu bewusst war er sich, dass seine Nerven, die ihn sonst nie im Stich ließen, drohten, zu versagen. Als er vorsichtig, zitternd und schwach sein Pferd bestieg, sich vergewisserte, dass es dem kleinen Kind an seiner Brust unter dem Mantel gut ging, wusste er mit einer Klarheit, die sein ganzes Denken umfing: Nie in meinem ganzen Leben werden mich diese zwei Tage zur Ruhe kommen lassen. Und er wusste genau, dass er einen viel zu hohen Preis bezahlt hatte. Kein Amt der Welt war es wert, das mit ansehen und das tun zu müssen.
    Grausam hallte der letzte Befehl der hohen Dame in ihm nach:
    »Ich beschwöre Euch, nie zu vergessen: Es gibt KEINE Nachkommen. Es hat NIE ein Kind gegeben.«

    *

    Der schmächtige Knabe mit dem viel zu großen Kopf hockte mit angezogenen Knien auf seinem Lieblingsplatz, einem zwischen den dicken Mauern eingelassenen Holzbrett auf der Spitze des fünfeckigen Bergfrieds. Hier im älteren Hof der Burganlage sah er weit hinweg über die Donau, auf reich bestelltes Land, saftig grüne Ebenen, gesäumt durch eine ferne Hügelkette, die die weit entlegenen Besitzungen im Hausruckviertel, im Mühlviertel, ja bis zum Attersee im Salzkammergut erahnen ließen.
    Er reckte seinen dünnen Hals und blickte hinunter auf die ausgedehnte Wehranlage zu Füßen des Aussichtsplatzes. Sehnsüchtig schaute er zur Schildmauer, wo ein neuer Wohntrakt angebaut wurde. Ein würdiges Herrenhaus mit einer großen Halle und vornehm
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher