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Inselzauber

Inselzauber

Titel: Inselzauber
Autoren: Gabriella Engelmann
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    Kapitel 1
    G erade noch geschafft, den Zug zu erwischen, doch Sie haben noch kein Ticket? Dann begeben Sie sich bitte umgehend auf die Suche nach einem Zugbegleiter, um sich eine Fahrkarte zu kaufen. Sollten Sie dies nicht tun, kann das als versuchtes Schwarzfahren gewertet werden«, reißt mich die Stimme der Zugansage der NOB , der Nord-Ostsee-Bahn, brutal aus meinen Gedanken.
    Nein, ich fühle mich von der barschen Aufforderung nicht angesprochen, denn meine Reise ist von längerer Hand geplant, weshalb ich nicht nur im Besitz eines gültigen Schleswig-Holstein-Tickets bin (allerdings ohne Rückfahrkarte), sondern auch einen Sitzplatz reserviert habe.
    Denn es steht seit einem halben Jahr fest, dass ich heute, kurz vor Weihnachten, zu meiner Tante Bea nach Sylt reisen werde, um sie für drei Monate in ihrer Buchhandlung zu vertreten. Was danach mit mir passiert – keine Ahnung! Dafür weiß ich seit genau zwei Wochen, dass Stefan, der Mann, den ich heiraten wollte, jetzt eine andere Frau liebt, die ein Kind von ihm erwartet. Melanie, Sprechstundenhilfe in Stefans kardiologischer Praxis und der Grund dafür, dass ich gerade versuche, ein neues Leben zu beginnen. Abseits von Stefan, abseits von Hamburg kehre ich nun zurück zu meinen Sylter Wurzeln.
    Doch so traurig mich diese Fahrt ins Ungewisse auch stimmt, so sehr muss ich beim Gedanken an meine Tante Bea lächeln, weil ich mich wahnsinnig auf sie freue. Ich habe sie lange, viel zu lange, nicht gesehen und weiß, dass wir beide einiges nachzuholen haben.
    Während ich die Landschaft betrachte, die an mir vorbeigleitet, denke ich ein wenig ängstlich, aber auch neugierig an die Zeit, die nun vor mir liegt. Eine Zeit der Entscheidungen, das spüre ich deutlich.
    Vor meinem inneren Auge lasse ich Revue passieren, was ich in Hamburg zurückgelassen habe: eine Liebe, ein Heim, einen festen Job in einem renommierten Hotel. Ein überschaubares Leben. Eines, das mir Sicherheit geboten hat und nun vorbei ist.
    Aller Trauer zum Trotz freue ich mich darauf, meiner Tante den langgehegten Traum zu ermöglichen, mit ihrer besten Freundin Veronika, genannt Vero, auf einem Kreuzfahrtschiff auf Weltreise zu gehen.
    Nachdenklich betrachte ich die unzähligen Windräder, welche die Bahnstrecke säumen. Ihre Arme bohren sich in den Winterhimmel und drehen sich so synchron, als wären sie Teil einer Ballettchoreographie. Kurz schießt mir ein Bild aus Kindertagen durch den Kopf: ich, die siebenjährige Larissa, im roséfarbenen Tüllröckchen, wie ich aufgeregt die Hand meines Vaters halte, eingehüllt in meinen Wintermantel, auf dem Weg zur Ballettstunde. Eine Erinnerung an glückliche Kindertage, als meine Eltern noch lebten.
    Bevor ein Autounfall drei Jahre später mit einem Schlag ihrem jungen Leben ein viel zu frühes und gewaltsames Ende setzte.

    Nun kehre ich zurück auf die Insel Sylt, zu meiner Tante, die mich als Zehnjährige zu sich genommen und mich großgezogen hat.
    Zusammen mit ihrem Mann Knut, einem Seefahrer, der naturgemäß die meiste Zeit seines Lebens auf dem Meer verbracht hat. Die beiden wohnten in einem alten Kapitänshaus, das mir damals Sicherheit und Geborgenheit gab, ebenso wie die Arme meiner Tante, die mich umschlungen hielten, als meine Kinderwelt in Trümmern lag.

    »In wenigen Minuten erreichen wir Westerland Hauptbahnhof«, ertönt erneut die Zugansage, und mein Herz beginnt schneller zu schlagen. Rasch sammle ich meine Gepäckstücke zusammen, die ich um mich herum verteilt habe, denn für diesen langen Aufenthalt auf Sylt ist es mit einer kleinen Tasche wahrlich nicht getan.
    Nach dem bezaubernden Anblick der schier endlos weiten norddeutschen Landschaft, den die Überfahrt auf dem Hindenburgdamm geboten hat, versetzt mir die Stadt Westerland nahezu einen Schock. Die Betonbauten und Hochhäuser stehen in absolutem Kontrast zu den Deichlämmern, die ihre buntbemalten Hintern in die Luft recken und in harmonischem Einklang nebeneinander grasen, und ebenso wenig zum Bild des gurgelnden Meeres, das seine grauen Schaumkronen in die Ausläufer um den Bahndamm herum spült.
    Die Kälte des Ferienorts steht auch in völligem Kontrast zu dem heimelig wirkenden Turm der Keitumer Kirche, der alle Sylt-Besucher willkommen heißt und sie aufzufordern scheint, das Gotteshaus in aller Stille aufzusuchen, um der umtriebigen Welt den Rücken zu kehren und ein wenig durchzuatmen. Genau das werde ich tun. Nach den Turbulenzen der letzten Wochen kann ich
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