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Das Evangelium nach Satan

Das Evangelium nach Satan

Titel: Das Evangelium nach Satan
Autoren: Patrick Graham
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überzeugt, als sie tief in ihrem Inneren Carzos Stimme hörte. Er war jetzt am Hauptbahnhof von Rom, hatte noch etwas zu erledigen. Das Ziel des Weges.
    Eingezwängt in das Gelass ihrer Seele hatte sie Glocken gehört, Schreie und Schüsse. Sie war in Tränen ausgebrochen, als Carzo in der Basilika getroffen zu Boden gestürzt war, hatte mit ihm gemeinsam an Atemnot gelitten, während sein Blut über den Marmorboden lief und sein Herz immer langsamer schlug. In jenem Augenblick hatten sich ihre Gedanken ein letztes Mal miteinander vereinigt. Dann war die Verbindung abgerissen. Doch sie war überzeugt, dass sein Herz nach wie vor schlug, wie ein fernes Echo. Auch er war irgendwo in den Tiefen seines Wesens eingeschlossen und wartete wie sie auf den Tod.
    Maria hört Schritte. Sie spürt, wie ihre Fingernägel an den Wänden ihres Gelasses kratzen. Sie versucht, die Lippen zu bewegen, um Hilfe herbeizurufen. Einen Augenblick lang hofft sie, dass Carzo gekommen ist, um nach ihr zu suchen, und sie flüstert seinen Vornamen.

44
    »Da ist sie!«
    Valentina sieht im Lichtkegel ihrer Taschenlampe eine junge Frau auf einer steinernen Bank sitzen. Crossman stürzt auf sie zu, während die Polizeibeamten das gesamte Untergeschoss des ehemaligen Wehrklosters durchsuchen.
    »Maria?«
    Keine Antwort.
    Er richtet seine Lampe auf die weit geöffneten Augen, die ins Leere starren. Er fasst vorsichtig nach ihrer Hand und spürt entsetzt die eiskalte Haut. Er legt ihr das Ohr an die Brust. Dann richtet er sich wieder auf.
    »Zu spät.«
    »Vielleicht nicht.«
    Valentina schiebt Crossman beiseite und sucht in ihrer Erinnerung nach dem Satz, den Pater Carzo gesagt hat, unmittelbar, bevor er das Bewusstsein verlor. Dann beugt sie sich über die junge Frau und flüstert ihr ins Ohr: »Maria, Sie müssen jetzt aufwachen.«
    Unter Valentinas Fingern hebt sich die blaue Ader an Marias Handgelenk unmerklich, sinkt in sich zusammen und hebt sich erneut. Valentina sieht sie aufmerksam an. Die schwarzen Ringe unter Marias Augen werden allmählich heller, ihre Züge entspannen sich, und ihre Nasenflügel beben leicht. Ein Anflug von Rosa legt sich auf ihre bleichen Wangen und ein schwacher Lufthauch dringt aus ihren Lippen. Ihre Brust beginnt sich zu heben. Sie schließt die Augen und öffnet sie wieder. Dann drängt sie sich an Valentina und bricht in Schluchzen aus.
    ∗ ∗ ∗

EINEN MONAT SPÄTER …

1
    Es ist fünf Uhr. Special Agent Maria Parks schläft tief und fest. Sie hat drei Schlaftabletten genommen, weil sie Rachels Schreie ebenso vergessen will wie Mutter Isoldes Finger, die sich um ihren Hals schließen. In ihrem Schlaf nimmt sie nichts von der Welt um sich her wahr. Noch ist er traumlos. Doch schon versuchen erste Regungen ihres Unbewussten, die chemische Schranke der Schlafmittel zu überwinden. Bilderfetzen tauchen auf.
    Mit einem Mal schnürt sich ihre Kehle zusammen. Adrenalin breitet sich in ihrem Körper aus und weitet die Adern. Ihr Puls beschleunigt sich, ihre Nasenflügel beben, und die blauen Venen an ihren Schläfen schwellen an. Die Bilder werden deutlicher, lebendig.
    Kerzen erhellen die Finsternis. Unzählige Fliegen summen. Es riecht nach Wachs und totem Fleisch. Maria ist wieder in der Krypta. Sie öffnet die Augen. Sie hängt nackt am Kreuz. Die durch ihre Hand-und Fußgelenke getriebenen Nägel sitzen tief im Holz. Sie zittert vor Schmerzen. Vom Fuß des Kreuzes aus sieht Kaleb zu ihr hoch. Seine Augen leuchten schwach unter der Kapuze hervor.
    Sie friert. Die Leichen sind fort. Jetzt knien Dutzende von Weltfernen Schwestern auf den Betstühlen. Sie beten und sehen zu Maria her. Kaleb hebt die Arme gleich einem Priester während der Wandlung, bei der aus Hostie und Messwein Fleisch und Blut Christi werden. Jetzt kommen die Weltfernen Schwestern aus dem Mittelgang einzeln zur Kommunion nach vorn. Kaleb hat einen Dolch gezückt. Maria erschauert. Der Leib Christi, den die Weltfernen Schwestern am Fuß des Altars kniend empfangen, sein Blut, das sie trinken werden, ist ihres, Marias. Sie windet sich am Kreuz. Kaleb kommt näher. Langsam schlägt er die Kapuze zurück. Maria schreit auf, denn sie erkennt Carzos Gesicht.

2
    Fünf Uhr zehn. Das Klingeln des Telefons zerreißt die Stille. Maria fährt hoch. Ihr Mund ist ausgedörrt und fühlt sich pelzig an. Ein übler Nachgeschmack aus Alkohol und Zigaretten hängt in ihrem Rachen. Aus der Ferne hört sie die Sirene eines Rettungswagens. Sie öffnet die Augen und
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