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Das Evangelium nach Satan

Das Evangelium nach Satan

Titel: Das Evangelium nach Satan
Autoren: Patrick Graham
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die ein Gericht der Heiligen Inquisition auf diese Weise von der Welt abgesondert hatte, nachdem ihnen ein Geständnis abgepresst worden war: Hexen, Engelmacherinnen und andere Unglückselige hatte man mit Zangen und Feuersglut dazu gebracht, die tausend Namen des Teufels zu nennen.
    Sie muss vor allem an ein Pergament denken, das die Einnahme des Klosters von Servio durch die Streitmacht von Papst Innozenz VI. beschreibt. Neunhundert Ritter hatten an jenem ein gutes Jahrhundert zurückliegenden Tag das Kloster umstellt, von dem es hieß, die Mönche feierten dort unter dem Einfluss des Bösen schwarze Messen und rissen dabei Frauen die ungeborene Leibesfrucht heraus, um sie zu verzehren. Hinter der Streitmacht, deren Vorhut mit einem Rammbock gegen das Fallgitter vor dem Tor in der Klostermauer anrannte, hatten in Kutschen drei Richter der Inquisition mit ihren Schreibern sowie die Henker mitsamt ihren todbringenden Gerätschaften gewartet. Als das befestigte Kloster erstürmt war, hatte man die Mönche in der Kapelle kniend vorgefunden. Nach einem Blick auf die übel riechende stumme Versammlung hatten die Henkersknechte des Papstes den Kraftlosesten, den Stummen, den Tauben, Missgestalteten und Geistesschwachen die Kehle durchgeschnitten und danach alle anderen ins Kellergeschoss gebracht, wo man sie sieben volle Tage und Nächte hindurch einem hochnotpeinlichen Verhör unterzog. Es war eine Woche des Wehklagens und der Tränen gewesen. Immer wieder machten verängstigte Brüder die Runde und gossen Eimer fauligen Wassers auf den steinernen Boden, um die Blutlachen fortzuschwemmen. Nachdem so unter unsäglichen Qualen und Peinigungen ein Monat vergangen war, hatte man alle, welche die glühenden Eisen der Inquisitoren auf der Haut und die Verstümmelung der Gliedmaßen lebend überstanden hatten, in den Tiefen ihres Klosters eingemauert. Vierhundert bis zum Skelett abgemagerte Gestalten, die sich die Finger am Granit der Mauer blutig gerissen hatten.
    Jetzt war die Reihe an ihr, allerdings mit dem Unterschied, dass man sie nicht gefoltert hatte. Um dem teuflischen Mörder zu entgehen, der in ihr Wehrkloster eingedrungen war, hatte sie, Isolde von Trient, Oberin der Augustinerinnen dieses Hauses, sich mit eigener Hand eingemauert. Sie hatte sich mit Ziegeln und Mörtel versehen, um die Mauerlücke zu schließen, in die sie sich mit einigen Kerzen und wenigen Habseligkeiten geflüchtet hatte. Vor allem hatte sie in ein Tuch gehüllt das fürchterliche Geheimnis mitgebracht, das sie bewahrte – nicht, damit es auf immer verschwand, sondern damit es nicht dem Ungeheuer in die Hände fiel, das sie verfolgte. Ein gesichtsloses Wesen, das die dreizehn Augustinerinnen eine nach der anderen abgeschlachtet hatte, Nacht für Nacht … Ein Mönch … oder wohl eher etwas Unsagbares, das sich in dessen heiligem Gewand verborgen hielt. Dreizehn Nächte, dreizehn Ritualmorde, dreizehn gekreuzigte Schwestern. Seit jenem dämmrigen Abend, an dem das Ungeheuer bei ihnen eingefallen war, nährte es sich vom Fleisch und den Seelen der Dienerinnen Gottes.
    Gerade als Mutter Isolde das Bewusstsein zu schwinden droht, hört sie Schritte auf der Treppe zum Untergeschoss. Sie hält den Atem an und lauscht. Eine ferne Stimme hallt in der Finsternis. Sie klingt wie die eines weinenden Kindes. Sie ruft oben von der Treppe nach ihr. Ein Zittern befällt die Oberin. Es ist die Stimme Schwester Bragantias, der jüngsten Novizin. Sie will, dass Mutter Isolde ihr sagt, wo sie sich versteckt hat, und fleht, sie zu ihr zu lassen, damit sie dem Ungeheuer entkommen kann, das sich nähert. Mit von Schluchzen unterbrochener Stimme wiederholt sie, dass sie nicht sterben wolle. Dabei hatte Mutter Isolde am Morgen desselben Tages die sterblichen Überreste der von dem Ungeheuer zerfetzten Schwester Bragantia mit eigenen Händen in ein Leintuch gehüllt und der weichen Erde des Klosterfriedhofs anvertraut.
    Während ihr Tränen des Entsetzens und des Kummers über die Wangen laufen, steckt sie sich die Finger in die Ohren, um Bragantias Wehklagen nicht mehr hören zu müssen. Dann schließt sie die Augen und bittet Gott, sie zu sich zu rufen.

2
    Angefangen hatte es einige Wochen zuvor. Sie hatten Gerüchte gehört, dass vor Venedig das Wasser steige und sich Tausende von Ratten in den Kanälen der Stadt gezeigt hätten. Wie es hieß, fielen diese Nager unter dem Einfluss einer geheimnisvollen Krankheit mit ihren scharfen Zähnen Hunde und sogar Menschen
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