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Das Evangelium nach Satan

Das Evangelium nach Satan

Titel: Das Evangelium nach Satan
Autoren: Patrick Graham
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an. Ihre Heerschar erobere von der Lagune aus die Gassen der Stadt, von der Giudecca bis hin zur Insel von San Michele.
    Als die ersten Pestfälle aus den Armenvierteln gemeldet wurden, ließ der alte Doge die Brücken sperren und allen Wasserfahrzeugen, die eine Verbindung zum Festland herstellen konnten, unbrauchbar machen. Dann stellte er Wachen vor die Tore der Stadt und schickte reitende Boten aus, die den Adel im Umland von der Gefahr unterrichten sollten, die in der Lagune lauerte.
    Dreizehn Tage, nachdem das Wasser gestiegen war, schlugen die ersten Flammen zum Himmel über der Stadt empor, und die Führer von Gondeln, die mit Leichen beladen waren, zogen tote Kinder aus den Kanälen, die ihre jungen Mütter unter Tränen aus dem Fenster ins Wasser geworfen hatten.
    Am Ende jener unheilvollen Woche gaben mächtige Herren in der Stadt ihren Leuten den Befehl, auf die Wachen des Dogen zu schießen, die nach wie vor die Brücken besetzt hielten. Als in der Nacht Hunde wegen eines landwärts wehenden Windes die Fährte der aus der Stadt Flüchtenden nicht aufnehmen konnten, setzten die Gebieter über Mestre und Padua Hunderte von Bogen-und Armbrustschützen mit dem Befehl in Marsch, den endlosen Strom Sterbender aufzuhalten, der sich auf das Festland ergoss. Doch nicht einmal deren Pfeil-und Bolzenhagel konnte verhindern, dass sich die Seuche mit rasender Schnelligkeit in ganz Venetien ausbreitete.
    Inzwischen war man dazu übergegangen, Dörfer niederzubrennen und Kranke in die Flammen zu werfen. Im Versuch, der Seuche Herr zu werden, wurden ganze Städte unter Quarantäne gestellt. Nicht nur verstreute man Hände voll groben Salzes auf der Erde und füllte die Brunnen mit Bauschutt, man besprengte auch Scheunen mit Weihwasser und nagelte Tausende von Eulen lebend an Haustüren, Sogar einige Hexen, Menschen mit Hasenscharte, missgebildete Kinder und der eine oder andere Bucklige wurden verbrannt. Doch nichts von all dem hinderte den Schwarzen Tod, auf die Tiere überzuspringen, und so sah man schon bald ganze Hundemeuten und Scharen von Krähen über den endlosen Zug der Flüchtenden herfallen, der die Straßen bevölkerte.
    Schließlich breitete sich die Pest, zweifellos durch die Tauben Venedigs übertragen, welche die Phantomstadt verlassen hatten, auf der ganzen Apenninen-Halbinsel aus. Bald schon bedeckten die erstarrten Kadaver von Ringeltauben, Drosseln, Ziegenmelkern und Sperlingen den Erdboden und die Dächer der Häuser. Später gesellten sich Tausende von Füchsen, Frettchen, Feld-und Spitzmäusen zu den Regimentern von Ratten, die gegen die Städte vorrückten. So kam es, dass über dem Norden des Landes nach nur einem Monat Totenstille lag: Der Schwarze Tod breitete sich noch rascher aus als die Gerüchte, die sein Nahen meldeten, und daher nach und nach verstummten. Schon bald kündigte nicht mehr das leiseste Murmeln oder sein Echo, keine Brieftaube und kein Meldereiter das Näherkommen der Geißel an. So wurde in jenem unseligen Winter, der schon bald der kälteste des Jahrhunderts zu werden drohte, keine Brandschneise gelegt, die dem nordwärts ziehenden Rattenheer den Weg verlegen konnte. Nirgendwo sammelten sich Bauern vor den Städten mit Fackeln und Sicheln, und keine Hand rührte sich rechtzeitig, um die Säcke mit Saatgut in die befestigten Lagerräume der Burgen zu schaffen.
    Auf diese Weise überquerte die Pest ungehindert die Alpen und gesellte sich zu den übrigen Krankheiten, die in der Provence zahllose Opfer forderten. Man berichtete, dass in Toulouse und Carcassonne die wütende Menge jeden auf der Straße umbrachte, der erkaltet war oder Schleim aushustete. In Arles wurden Kranke in riesigen Gruben verscharrt, während man sie in den Sterbehospizen von Marseille mit Öl und Pech übergoss und lebend verbrannte. In Grasse wie auch in Gardanne hingegen legte man Feuer an die Lavendelfelder, um die üblen Ausdünstungen des Himmels zu vertreiben.
    Bei Orange und schließlich auch vor den Toren Lyons feuerten die Heere des Königs auf das Rattenheer, das sich gleich einer Sturmflut näherte. Die Tiere waren so ausgehungert, dass sie Steine und Baumstämme annagten.
    Nachdem sie der Ritterschaft bei Macôn eine vernichtende Niederlage zugefügt hatte, zog die Seuche weiter nach Paris und in Richtung Deutschland, wo sie ganze Städte entvölkerte. Schon bald stiegen zu beiden Seiten des Rheins die Totenklagen so zahlreich zum Himmel empor, dass man annehmen konnte, auch dorthin sei die
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