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Nordwind: Kriminalroman (German Edition)

Nordwind: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Nordwind: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Håkan Östlundh
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    Sehen konnte man das Meer in der Dunkelheit nicht, aber sie hörte trotz der dröhnenden Dieselmotoren die Wellen gegen den Rumpf der Fähre schlagen. Die Scheinwerfer beleuchteten das Deck und Teile der gelben Brücke. Es waren nur zwei Autos an Bord. Ihr eigener roter Mercedes-Jeep und ein schwarzer Kombi direkt dahinter.
    Vier Wochen waren sie fort gewesen.
    Jetzt steuerten sie die Insel wieder an, auf der sie seit zwei Jahren zu Hause waren. Wenn man überhaupt davon sprechen konnte, dass eine Fåröfähre ein Ziel ansteuerte. Sie hatte keinen Steven, keinen Bug und kein Heck. Sie war ein gelbes Metallfloß, auf dem vier Fahrzeugreihen Platz hatten.
    Malin hätte nie gedacht, dass eine hässliche kleine Fähre jemals eine so wichtige Rolle in ihrem Leben spielen würde. Bodilla . Der Name war ebenso anmutig wie das schwerfällige Gefährt. Mit Bodilla brachten sie Axel in den Kindergarten. Sie mussten die Fähre nehmen, wenn sie in die Kneipe gehen oder etwas besorgen wollten, das über das Lebensnotwendige hinausging. Manchmal war es die Kajsa-Stina , meistens jedoch Bodilla .
    Die Urlaubssaison war noch nicht ganz vorbei, aber sobald die Schule wieder anfing, fanden fast nur noch Ausländer und Rentner den weiten Weg hinauf nach Fårö. Bald würden auch sie ausbleiben. Dann machte alles zu, bis auf den Ica-Supermarkt und die Kirche.
    Die Kinder schliefen auf dem Rücksitz, und die Fähre arbeitete sich langsam über den Sund. Henrik richtete die Kamera auf sie.
    »Nimm das Kinn einen Zentimeter höher«, wies er sie an. Lächelnd tat Malin ihm den Gefallen.
    »Nein, nicht lächeln«, sagte er.
    Sie bemühte sich, wieder ihre ursprüngliche Miene aufzusetzen, vielleicht gelang es ihr. Henrik machte in rascher Folge sechs Bilder und änderte dabei den Blickwinkel nach jeder Belichtung ein wenig.
    »Hast du mich auf dieser Fähre nicht schon tausendmal fotografiert?«
    Henrik ließ die Kamera sinken.
    »Jedes Bild ist ein neues Bild.« Er zwinkerte ihr zu und grinste.
    Malin sah ihn an, blickte in die wachen dunklen Augen, und jetzt durfte sie auch lächeln. Henrik beugte sich zu ihr hinüber, um sie zu küssen. Sie zögerte eine Sekunde oder zwei.
    »Was ist?« Er sah sie fragend an.
    Die Erinnerung an den Streit am Morgen hielt sie zurück.
    Es hatte Krach zwischen ihnen gegeben, ohne dass sie es richtig zu Ende gebracht hätten.
    »Ach nichts«, sagte sie und lehnte sich zu ihm vor.
    Im gleichen Moment erloschen die grellen Scheinwerfer, und das Wummern der Motoren verstummte.
    Malin zuckte zusammen und versuchte, durch das Seitenfenster die Brücke zu erkennen, aber die Dunkelheit war undurchdringlich.
    Leise trieben sie in der Mitte des Sunds. Sie konnten die Lichter von Broa sehen, und die Wellen, die gegen die Stahlwände schwappten, waren nun deutlicher zu hören. Malin tastete nach dem Lichtschalter. Noch bevor sie ihn gefunden hatte, sprangen die Motoren bullernd wieder an, und das Deck war wieder beleuchtet. Sie blinzelte in die hellen Scheinwerfer. Der Ausfall konnte höchstens fünf oder zehn Sekunden gedauert haben.
    »Was zum Teufel war das?« Sie sah Henrik an.
    »Der Kapitän muss wohl versehentlich die Notbremse gezogen haben«, meinte Henrik grinsend.
    Sie lachte höflich. Als das Licht und die Motoren ausgingen, hatte sie eine erdrückende Kälte gepackt. Nun ließ sie sich nicht mehr abschütteln.
    Wenige Minuten später legte die Fähre am Kai an. Die Klappe wurde heruntergefahren und die Absperrung geöffnet. Rasch ließ Malin den Motor an und fuhr los.
    Als sie den Fähranleger hinter sich ließen, blieb auch das letzte Licht hinter ihnen zurück. Im Rückspiegel sah sie den Kombi nach Ryssnäs abbiegen. Jetzt waren sie allein im Dunkeln. Es war erst Ende August und dennoch um sie herum stockduster.
    Sie waren weit entfernt von allem: Straßenlaternen, Leuchtreklamen und Schaufenstern und von Städten, die mit ihren Lichtern den Himmel aufhellten. Es war offenbar immer noch zu sehen, dass die Insel erst nach dem Krieg ans Stromnetz angeschlossen worden war und es hier vor den Fünfzigerjahren so gut wie keine Elektrizität gegeben hatte.
    Während die Landschaft, die gerade noch von den Autoscheinwerfern angestrahlt worden war, hinter ihnen verschwand, fühlte Malin eine innere Unruhe in sich aufsteigen, die wohl derjenigen ähnelte, die Seefahrer einst empfunden hatten: die Sorge, das Ende der Welt zu erreichen, wo man jeden Moment hinunterfallen konnte.
    Auf der Rückbank hustete
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