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Das Evangelium nach Satan

Das Evangelium nach Satan

Titel: Das Evangelium nach Satan
Autoren: Patrick Graham
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Geißel gelangt, und Gott selbst erliege der Pest.

3
    Während Mutter Isolde in ihrem Versteck nach Atem ringt, fällt ihr der Unglücksbote ein, der elf Tage, nachdem von Rom entsandte Regimenter Venedig in Brand gesteckt hatten, aus dem dichten Dunst aufgetaucht war. Er hatte beim Näherkommen in sein Horn gestoßen, und Mutter Isolde hatte sich von der Mauerkrone herab angehört, was er zu sagen hatte.
    Der Reiter hatte sein Gesicht verborgen, indem er es tief auf das von Schmutz starrende Wams hinabdrückte. Der Schleim, den er immer wieder unter heftigen Hustenanfällen auswarf, hatte rötliche Blutspuren auf dem grauen Stoff hinterlassen. Um den Wind zu übertönen, hatte er mit trichterförmig vor den Mund gehaltenen Händen gerufen: »He, da oben! Ich soll im Auftrag des Bischofs alle Klöster vor dem sich nähernden Schwarzen Tod warnen. Die Pest hat Bergamo und Mailand erreicht und breitet sich in Richtung Süden weiter aus. In Ravenna, Pisa und Florenz hat man bereits Alarmfeuer entzündet.«
    »Bringt Ihr Neuigkeiten aus Parma?«
    »Leider nein. Aber ich habe auf dem Weg nach Cremona ganz aus der Nähe Meere von Fackeln gesehen und Prozessionen, die sich der Stadtmauer von Bologna näherten. Padua, wo die reinigenden Flammen bereits die Nächte erhellen, habe ich ebenso umritten wie Verona. Überlebende aus jener Stadt haben mir berichtet, dass sich die Elenden, die nicht fliehen konnten, mit den Hunden um die Leichen streiten müssen, die auf den Straßen liegen. Seit Tagen komme ich nur noch an Massengräbern und offenen Gruben voller Leichen vorüber, denn die Totengräber kommen nicht mehr hinterher, sie zuzuschaufeln.«
    »Was ist mit Avignon und dem Palast Seiner Heiligkeit des Papstes?«
    »Von dort hört man nichts mehr. Auch nicht aus Arles und Nîmes. Ich weiß lediglich, dass man überall Dörfer in Brand steckt, ganze Viehherden schlachtet und Messen liest, um die Wolken von Fliegen zu vertreiben, die den Himmel bedecken. Allenthalben verbrennt man Kräuter und Spezereien, um den vom Wind herübergewehten üblen Ausdünstungen Einhalt zu gebieten. Überall sterben die Menschen, und niemand kümmert sich um die von der Krankheit und den Armbrustbolzen der Krieger niedergemähten Toten, die sich auf den Straßen zu Bergen türmen.«
    Als die Mitschwestern baten, Mutter Isolde möge den Unglücklichen einlassen, hatte sie ihnen mit einer Handbewegung Schweigen geboten und sich erneut über die Brüstung gebeugt.
    »Welcher Bischof, sagtet Ihr, hat Euch hergeschickt?«
    »Seine Exzellenz Monsignore Benevenuto Torricelli, Bischof von Modena, Ferrara und Padua.«
    Ein Schauder hatte Mutter Isolde bei diesen Worten erfasst, und mit zitternder Stimme hatte sie in die eiskalte Luft gesagt: »Ich muss Euch mitteilen, dass Monsignore Torricelli im vorigen Jahr bedauerlicherweise bei einem Unfall seiner Kutsche ums Leben gekommen ist. Ich fordere Euch daher auf, Eures Weges zu ziehen. Doch sagt mir zuvor, ob man Euch etwas zu essen und Salben zum Einreiben Eurer Brust hinabwerfen soll?«
    Schreie, in denen sich Staunen und Entsetzen mischten, hatten sich auf der Mauer, die das Kloster umgab, erhoben, als der Reiter den Kopf hob und sein von der Pest entstelltes Gesicht zeigte.
    »Gott ist in Bergamo gestorben, Ehrwürdige Mutter! Welche Salben, welche Gebete sollen diese Wunden heilen. Mach lieber das Tor auf, alte Sau, damit ich deinen Novizinnen meinen Eiter in den Leib spritzen kann!«
    Nicht einmal das Pfeifen des Windes unterbrach die daraufhin eingetretene Stille. Der Reiter hatte sein Tier schroff gewendet, ihm die Sporen tief in die Flanken gestoßen und war verschwunden, als habe ihn die Schwärze des Waldes verschluckt.
    Seither hatten Mutter Isolde und die Nonnen, die einander bei der Wache auf der Mauer ablösten, keine lebende Seele mehr zu Gesicht bekommen – bis zu jenem tausendmal verfluchten Tag, an dem ein Karren vor dem Klostertor aufgetaucht war. Vom schweißbedeckten Fell der vorgespannten Maultiere stieg Dampf in die kalte Luft auf.

4
    Der Gespannführer war Gasparo, ein biederer Landmann, der tausendfach dem Tod getrotzt hatte, um den Augustinerinnen die letzten Herbstfrüchte zu bringen: Äpfel und Trauben aus der Toskana, Feigen aus dem Piemont, Krüge mit Olivenöl sowie mehrere Säcke mit Mehl aus den Mühlen Umbriens, mit dem die Nonnen ihr nahrhaftes, dunkles und festes Brot backten. Voll Stolz hatte er außerdem zwei Karaffen selbst gebrannten Pflaumenschnaps hervorgeholt,
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