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Das Darwin-Virus

Das Darwin-Virus

Titel: Das Darwin-Virus
Autoren: Greg Bear
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befestigte. Manche Männer vermieden sogar den Blickkontakt und machten mit den Händen kleine Zeichen. Kaye setzte sich neben die Kleine.
    Auf zwei der Lieferwagen befanden sich Gestelle mit Schrotflinten und Jagdgewehren. Als sie sich auf dem Rücksitz neben Stella einrichtete, schnürte sich ihre Kehle zu. Sie kurbelte das Fenster hoch, schnallte sich an und spürte um sich herum den durchdringenden, säuerlichen Geruch ihrer eigenen Angst.
    Mitch schleppte ihren Laptop und eine Kiste voller Papiere heraus, schob sie in den Kofferraum und knallte die Klappe zu. Kaye bediente die Tasten ihres Handys.
    »Tu das nicht, sonst wissen sie sofort, wo wir sind«, sagte Mitch.
    »Wir rufen irgendwo von einer Telefonzelle an der Landstraße an.«
    Die Flecken in Kayes Gesicht wurden einen Augenblick lang rot.
    Verblüfft und staunend sah Mitch sie an. »Wir sind Ausgestoßene«, murmelte er und ließ den Motor an. Die sieben Männer stiegen in ihre Kleinlaster und eskortierten sie die Straße entlang.
    »Hast du Bargeld für Benzin?«, fragte Mitch.
    »In meiner Handtasche. Du willst keine Kreditkarten benutzen?«
    Mitch vermied es, darauf zu antworten. »Der Tank ist noch fast voll.«
    Stella schrie kurze Zeit und wurde dann still. Die Morgendämmerung stieg rosafarben über die niedrigen Hügel und hinter den vereinzelten Eichen hoch. Am Horizont lagen zerklüftete Wolkenberge, und vor sich sahen sie schon die Regenvorhänge. Das helle Morgenlicht wirkte unwirklich vor den niedrig hängenden schwarzen Wolken.
    Der Feldweg in Richtung Norden war uneben, aber nicht unpassierbar. Die Lastwagen begleiteten sie bis zum Ende, wo ein Schild die Grenze des Reservats kennzeichnete und nebenbei auch den Weg zum Golden Eagle Kasino wies. Gegen einen verwitterten, verbogenen Stacheldrahtzaun drückten sich traurige, mitgenommene Büsche und Wüstenpflanzen.
    Aus den tief hängenden Wolkenbergen nieselte der Regen auf die Windschutzscheibe und verschmierte den Staub zu Schlamm.
    Vom Feldweg bogen sie über die Straßenböschung auf den nach Osten führenden Highway ein. Als Mitch den Toyota auf dem zweispurigen Asphaltband beschleunigte, fing eine Säule aus leuchtendem Sonnenlicht – dem letzten, das sie an diesem Tag sahen – sie ein wie ein Suchscheinwerfer.
    »Hier war es schön«, sagte Kaye mit rauer Stimme. »Ich kann mich nicht erinnern, dass ich irgendwann in meinem Leben irgendwo schon einmal so glücklich war wie in diesem Wohnwagen.«
    »Unter widrigen Umständen blühst du auf«, sagte Mitch, griff über die Schulter nach hinten und nahm ihre Hand.
    »Ich blühe mit dir auf«, erwiderte Kaye. »Und mit Stella.«
92
    Im Nordosten von Oregon
    Kaye kam von der Telefonzelle zurück. Sie hatten vor einem kleinen Einkaufszentrum in Bend gehalten, um etwas zu essen zu besorgen. Kaye hatte die Einkäufe erledigt und dann Maria Konig angerufen. Mitch war solange bei Stella im Auto geblieben.
    »Arizona hat noch keine Notstandsverwaltung eingerichtet«, sagte Kaye.
    »Was ist mit Idaho?«
    »Die haben seit vorgestern eine. Kanada auch.«
    Stella gurrte und zwitscherte in ihrem Kindersitz. Mitch hatte sie vor ein paar Minuten gewickelt, und danach gab sie in der Regel eine kurze Vorstellung. Er hatte sich schon fast an ihre musikalischen Äußerungen gewöhnt. Sie konnte mittlerweile sehr geschickt zwei verschiedene Töne gleichzeitig hervorbringen und dann einen davon steigen oder fallen lassen. Das Ganze ähnelte verblüffend einem Duo für zwei elektronische Musikinstrumente.
    Kaye sah aus dem Autofenster. Es war, als lebe die Kleine in einer anderen Welt, als entdecke sie hingebungsvoll, welche Geräusche sie hervorbringen konnte.
    »Im Supermarkt haben sie mich angestarrt«, sagte Kaye. »Ich habe mich gefühlt wie eine Aussätzige – nein, schlimmer noch, wie ein Nigger .« Sie stieß das Wort zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Dann verstaute sie die Einkaufstüte auf dem Beifahrersitz und wühlte mit einer Hand nervös darin herum. »Ich habe am Automaten Geld geholt und dann das hier gekauft«, sagte sie und holte Flaschen mit Makeup, Grundierung und Puder heraus. »Für die Flecken. Was wir mit ihrem Gesang machen, weiß ich noch nicht.«
    Mitch klemmte sich wieder hinter das Lenkrad.
    »Fahren wir«, sagte Kaye. »Sonst holt noch irgendjemand die Polizei.«
    »So schlimm ist es doch nicht«, sagte Mitch, während er den Motor anließ.
    »Nicht schlimm?«, schrie Kaye. »Wir sind gebrandmarkt! Du lieber Himmel,
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