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Lilienrupfer

Lilienrupfer

Titel: Lilienrupfer
Autoren: Marie Velden
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Erster Teil
    Anfang April 2007
    Sie zog ihn mit aller Kraft an sich,
    den Menschen Edward,
    suchte ihn in den Tiefen seines Herzens zu verstehen,
    sehnte sich danach, sich in ihm zu verlieren.
    Doch endlich sah sie ein, daß das wonach sie strebte,
    unerreichbar war.
     
    William Somerset Maugham
    ›Mrs Craddock‹
     
    Datum: 31.   März 2007 23.41   Uhr
    Von: [email protected]
    An: [email protected]
    Betreff: Das rote Band des Mondes
     
     
    Lieber Robbie Williams,
     
    ich habe mich immer schwer damit getan loszulassen. Ich meine loslassen im Sinne von verabschieden. Ich hänge an Dingen und ich hänge an Menschen. Selbst wenn sie mir irgendwann überflüssig erscheinen (die Dinge) oder nicht mehr liebenswert (die Menschen), dauert es lange, bis ich mich trennen kann. Wieso, fragst Du? Vielleicht weil ich befürchte, etwas Unwiederbringliches zu verlieren, wenn ich sie gehen ließe. Manchmal halte ich sogar so lange fest, bis mir eine imaginäre Schnur in die Fingerzu schneiden scheint. Und selbst dann lasse ich nur zögernd und mit schwerem Herzen los.
    Im Augenblick fällt es mir schwer, von einem Buch zu lassen, das ich vor zwei Stunden beendet habe. ›Fast ganz die Deine‹ von Marcelle Sauvageot. Ein Briefroman voll zarter poetischer Worte, dessen Inhalt mich traurig stimmt.Eine Frau verabschiedet sich von ihrem früheren Geliebten, der ihr mit dieser kurzen Notiz den Laufpass gab: ›Ich heirate. Unsere Freundschaft bleibt.‹
    Sie reagiert wütend darauf, fassungslos, spitzfindig und sezierend, an anderer Stelle hingegen zärtlich und zugeneigt. Und um eine dieser Stellen geht es mir im Besonderen:
    ›Ich finde den Gedanken einer vorbestimmten Verbindung sehr hübsch‹, schreibt Sauvageot und verweist auf eine Legende aus Japan. Bei der Geburt, so heißt es darin, binde der Mond den Fuß eines künftigen Mannes mit einem roten Band an den Fuß einer künftigen Frau. Im Leben sei dieses Band unsichtbar, doch wenn diese beiden Menschen sich fänden, erreichten sie höchstes Glück auf Erden. Die, denen das nicht vergönnt sei, verbrächten ein Leben in Unruhe und Trauer. Erst nach ihrem Tode, erst in der anderen Welt erlebten sie ihr Glück, denn dort könnten sie sehen, an wen das rote Band sie bindet.
    ›Ich weiß nicht‹, beendet die Autorin die Passage, ›ob ich in dieser Welt das rote Band finden werde, das mich bindet; ich glaube, diese Legende ist, wie alle Legenden, eine poetische Tröstung. Ist der, für den man geschaffen ist, nicht der, für den geschaffen zu sein man annimmt? Für mich hätten Sie derjenige sein können.‹
     
    Ich bin zwiegespalten, Robbie, was diese Sätze betrifft, denn eine Legende ist immer nur ein Teil der Wahrheit. Betrachtet man sie näher, wird alles viel komplizierter. Ja, es stimmt: Man fühlt sich für jenen geschaffen, von dem man es
glaubt!
Das ist der einfache Teil.
    Doch gleich wird es kompliziert, denn leider wird verschwiegen, dass es sich dabei auch um eine zeitlich begrenzteVerbindung handeln kann, die irgendwann – wenn sie zu Ende ist – durch eine andere ersetzt wird, von der man dasselbe glaubt. Wie also soll man erkennen, für wen man geschaffen wurde, wenn unser Gefühl so leicht unseren Glauben beeinflusst und dieses geheimnisvolle rote Band unsichtbar ist?
    Ich bin eine Romantikerin, Robbie! Mir gefällt der Mythos von Liebe als Himmelsmacht. Aber gleichzeitig ängstigt er mich. Was ist mit denen, die vergessen wurden? Um deren Fuß sich kein rotes Band windet? Sitzen sie zu Lebzeiten eine Art von Strafe ab? Nennen wir es achselzuckend Pech? Und sind nicht wir ALLE mit dieser Geschichte gemeint? Sie gilt nicht nur für die Alleingebliebenen, denn nicht jedes Paar ist glücklich.
    Hehe, höre ich Dich rufen. Es ist nur eine Legende, eine hübsche Geschichte, es gibt dafür keinen wissenschaftlichen Beweis. Ebenso gut könnte ich gleich ›Jedes Töpfchen find’t sein Deckelchen‹ anstimmen.
    Du hast recht. Ich verrenne mich. Wobei all diese Gedanken natürlich einen Grund haben. Der Hannes heißt. Unsere Trennung liegt noch nicht lange zurück. Einen Monat. Was ist das im Vergleich zu den beiden Jahren, in denen ich in gewissen Momenten glaubte, er könnte derjenige sein.
    Natürlich war das von Sehnsucht getriebener Unsinn. Natürlich war mir das immer klar. Verheiratet wie er war und ist, denkt er sicher noch hie und da an mich, deckelt aber inzwischen wieder seinen heimischen Pott, den er wegen zweier Tiegelchen ohnehin nie verlassen
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