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Das Darwin-Virus

Das Darwin-Virus

Titel: Das Darwin-Virus
Autoren: Greg Bear
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zerbrochenen Bürgersteigplatte stehen und lauschte. In diese Nebenstraße mündete der Weg, der hinter den Häusern entlang führte, und ihr war, als hörte sie spielende Kinder. Viele Kinder.
    Zusammen mit Mitch ging sie eilig zwischen den Garagen und Bretterzäunen hindurch. Dabei versuchte sie, Stellas Stimme oder einen ihrer vielen Laute zu identifizieren.
    Mitch hörte ihre Tochter als Erster. Er stieß das Gittertor auf, und sie gingen hinein.
    In dem kleinen Garten wimmelten die Kinder wie Vögel an einem Futterplatz. Kaye bemerkte sofort, dass Stella nicht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand. Sie war einfach nur dabei, saß seitlich am Rand und spielte Othemo, ein Spiel mit Karten, die einen Ton von sich gaben, wenn man fest darauf drückte. Sofern die Töne zusammenpassten oder eine Melodie ergaben, musste man sie ablegen, und wer sein Blatt zuerst los war, hatte gewonnen. Es war eines von Stellas Lieblingsspielen.
    Mitch stand hinter Kaye. Ihre Tochter sah sie nicht sofort, sondern plauderte fröhlich mit den Zwillingen und einem Jungen.
    »Ich hole sie«, sagte Mitch.
    »Warte mal.« Stella wirkte so glücklich, dass Kaye bereit war, ein paar Minuten lang das Risiko einzugehen.
    Dann blickte Stella auf, erhob sich und ließ die musikalischen Karten fallen. Sie drehte den Kopf und schnupperte.
    Mitch sah, wie ein anderes Kind – ein Junge – durch den Vordereingang in den Garten kam. Er war ungefähr so alt wie Stella.
    Auch Kaye bemerkte ihn und erkannte ihn sofort. Sie hörten eine Frau auf Spanisch hektisch rufen; Kaye wusste genau, was sie sagte und was es bedeutete.
    »Wir müssen gehen«, sagte Mitch.
    »Nein«, erwiderte Kaye und hielt ihn am Arm zurück. »Nur einen Augenblick. Bitte. Sieh doch mal!«
    Stella und der Junge gingen aufeinander zu. Die anderen Kinder verstummten eines nach dem anderen. Der Junge stieß leise Seufzer aus, und sein Brustkorb hob und senkte sich, als sei er gelaufen. Dann ließ er ein wenig Spucke auf seinen Ärmel fallen, rieb sich damit im Gesicht und beugte sich nach vorn, um hinter Stellas Ohr zu schnuppern. Stella schnupperte hinter seinem Ohr, und sie fassten sich an den Händen.
    »Ich bin Stella Nova«, sagte Stella. »Woher kommst du?«
    Der kleine Junge lächelte nur, und sein Gesicht zuckte, wie Stella es noch nie gesehen hatte. Sie merkte, wie ihr eigenes Gesicht darauf reagierte. Das Blut schoss ihr in die Haut, und sie musste laut lachen – ein entzücktes, hohes Quieken. Der Junge duftete nach so vielem – nach seiner Familie, seinem Zuhause, dem Essen, das seine Mutter kochte, seinen Katzen. Stella beobachtete sein Gesicht und verstand ein wenig von dem, was er sagte. Er war so toll, dieser kleine Junge. Die Flecken auf der Haut verfärbten sich bei beiden in rasendem Tempo und fast wie durch Zufall. Sie sah, wie in den Pupillen des Jungen farbige Punkte auftauchten, strich mit den Fingern über seine Hände und betastete seine Haut, die zitternd reagierte.
    Der Junge sprach gebrochenes Englisch und Spanisch gleichzeitig. Sein Mund bewegte sich so, wie Stella es kannte: Er bildete die Laute auf beiden Seiten seiner mit einer Furche ausgestatteten Zunge. Stella konnte leidlich Spanisch und versuchte zu antworten. Daraufhin hüpfte der Junge vor Begeisterung auf und ab: Er verstand sie! Normalerweise war es für Stella frustrierend, mit anderen Leuten zu reden, aber jetzt war es noch schlimmer, denn auf einmal wusste sie, was Reden wirklich bedeuten konnte.
    Dann blickte sie zur Seite und sah Kaye und Mitch.
    Im gleichen Augenblick bemerkte Kaye die Frau, die im Küchenfenster stand und telefonierte. Sie sah alles andere als fröhlich aus.
    »Gehen wir«, sagte Mitch. Diesmal hatte Kaye nichts dagegen.

    »Wohin fahren wir jetzt?«, fragte Stella, die im Kindersitz auf der Rückbank des Chevy Lumina saß. Mitch hielt sich in südlicher Richtung.
    »Vielleicht nach Mexiko«, erwiderte Kaye.
    »Ich will mehr Kinder wie den Jungen kennen lernen«, erklärte Stella und schmollte heftig.
    Kaye schloss die Augen. Sie sah die entsetzte Mutter des Jungen vor sich, die ihn von Stella weggerissen und Kaye hässliche Blicke zugeworfen hatte – eine Mutter, die ihr eigenes Kind gleichzeitig liebte und hasste. Es bestand keine Aussicht, dass die beiden sich noch einmal treffen konnten. Und die Frau im Fenster war so verängstigt gewesen, dass sie nicht einmal herausgekommen war, um mit ihr zu reden.
    »Das wirst du auch«, erwiderte Kaye verträumt. »Das war
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