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Das Darwin-Virus

Das Darwin-Virus

Titel: Das Darwin-Virus
Autoren: Greg Bear
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Lagerfeuer und den weißen Jeeps weg einen schmalen Pfad entlang. Durch verwildertes Wald- und Buschland gelangten sie zu den Gräbern.
    »Der Ratsvorsitzende da drüben hat Feinde. Ein paar örtliche Oppositionelle haben die Gruben ausgehoben und dann das UN-Hauptquartier in Tiflis angerufen«, erzählte Beck. »Ich glaube nicht, dass die Leute vom Sicherheitsdienst der Republik uns gern hier haben. Wir finden in Tiflis keinerlei Unterstützung. So kurzfristig waren Sie die einzige fachkundige Person, die wir auftreiben konnten.«
    Man hatte drei parallel nebeneinander liegende Gruben wieder geöffnet und mit Scheinwerfern auf hohen Masten ausgeleuchtet; sie steckten in dem Sandboden und bezogen Strom aus einem tragbaren Generator. Zwischen den Masten hingen lange, rot-gelbe Kunststoffbänder reglos in der stillen Luft.
    Kaye umrundete die erste Grube und hob die Maske an. Mit erwartungsvoll gerümpfter Nase schnupperte sie. Außer Erde und Schlamm war nichts Besonderes zu riechen.
    »Sie sind über zwei Jahre alt«, sagte sie. Dann reichte sie Beck die Maske. Lado blieb etwa zehn Schritte hinter ihnen stehen – es widerstrebte ihm, in die Nähe der Gräber zu kommen.
    »Das müssen wir genau wissen«, sagte Beck.
    Kaye ging zu der zweiten Grube, stieg hinunter und ließ den Strahl ihrer Taschenlampe über die Haufen aus Stoff, dunklen Knochen und trockener Erde wandern. Der Boden war sandig und ausgedörrt – er gehörte vermutlich zu einem alten Schmelzwasserfluss aus den Bergen. Die Leichen waren fast nicht zu erkennen, blassbraune, erdverkrustete Knochen mit runzeligem, braunem und schwarzem Fleisch. Die Kleidung hatte die Farbe des Bodens angenommen, aber die Flicken und Fetzen gehörten nicht zu Uniformen: Es waren Damenkleider, Hosen, Mäntel.
    Wolle und Baumwolle hatten sich noch nicht völlig aufgelöst.
    Kaye suchte nach bunteren Kunstfasern; sie konnten ein Indiz für das maximale Alter des Grabes sein. Auf den ersten Blick sah sie keine.
    Sie ließ das Licht auf die Wände der Grube fallen. Die dicksten von den Spaten durchtrennten Wurzeln waren einen guten Zentimeter dick. Zehn Meter weiter standen die ersten Bäume wie große, schlanke Gespenster.
    Ein Sicherheitsoffizier mittleren Alters mit dem eindrucksvollen Namen Vakhtang Chikurishvili, ein auf seine Weise gut aussehender, stämmiger Mann mit breiten Schultern und dicker, mehrmals gebrochener Nase, trat vor. Er trug keine Maske und hielt etwas Dunkles in die Höhe. Kaye brauchte ein paar Sekunden, um es zu erkennen: ein Stiefel. In konsonantenreichem Georgisch wandte Chikurishvili sich an Lado.
    »Er sagt, die Schuhe seien alt«, übersetzte Lado. »Er sagt, die Leute hier seien vor fünfzig Jahre gestorben. Vielleicht noch früher.«
    Chikurishvili wedelte verärgert mit dem Arm und ließ einen schnellen, aus Georgisch und Russisch gemischten Wortschwall auf Lado und Beck los.
    Lado dolmetschte. »Er sagt, die Georgier, die das hier ausgegraben haben, sind dumm. Das ist nichts für die UN. Das stammt aus der Zeit lange vor dem Bürgerkrieg. Er sagt, das hier waren keine Ossetier.«
    »Wer hat denn etwas von Ossetiern gesagt?«, fragte Beck trocken.
    Kaye untersuchte den Stiefel. Er hatte eine dicke Ledersohle.
    Auch das Obermaterial war Leder. Die herunterhängenden Schnürbänder waren verrottet und dick mit Erdklumpen verkrustet. Das Leder fühlte sich steinhart an. Sie spähte hinein. Schmutz, aber weder Socken noch Stoff- den Stiefel hatte man nicht von einem verwesten Fuß gezogen. Chikurishvili erwiderte trotzig ihren forschenden Blick, zückte plötzlich ein Streichholz und zündete sich eine Zigarette an.
    Eine Inszenierung, dachte Kaye. Sie erinnerte sich noch an die Lektionen, die sie in der Bronx gelernt hatte und durch die sie schließlich von der Gerichtsmedizin abgekommen war. Die Ortstermine an echten Mordschauplätzen. Die Schutzmasken gegen den Verwesungsgeruch.
    Beck sprach in gebrochenem Georgisch und besserem Russisch beruhigend auf den Offizier ein. Lado übersetzte leise seine Sprachversuche. Dann griff Beck nach Kayes Ellenbogen und führte sie zu einem langen Segeltuchdach, das man ein paar Meter von den Gruben entfernt aufgebaut hatte.
    Unter dem Dach lagen Leichenteile auf zwei ramponierten Klapptischen. Völlig laienhaft , dachte Kaye. Vielleicht hatten die Feinde des sakrebulo -Leiters die Leichen dort platziert und Fotos gemacht, um ihre Behauptungen zu belegen.
    Sie umrundete den Tisch: zwei Rümpfe und ein
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