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Das Darwin-Virus

Das Darwin-Virus

Titel: Das Darwin-Virus
Autoren: Greg Bear
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gekümmert. Letzte Woche hatte sie ihn ein paar Mal dabei ertappt, wie er sie mit einem Ausdruck mürrischer, der alten Welt verhafteten Erwartungshaltung angesehen hatte, die Augen zu runzeligen Schlitzen verengt, wie ein aus Olivenholz geschnitzter, braun gebeizter Satyr. Unter den am Institut tätigen Frauen – insbesondere den jüngeren – stand er im Ruf, nicht immer vertrauenswürdig zu sein. Aber er hatte Kaye stets mit dem größten Anstand behandelt, ja sogar – wie jetzt –
    mit Besorgnis. Er wollte nicht, dass sie traurig war, aber er konnte sich auch keinen Grund vorstellen, warum sie fröhlich sein sollte.
    Bei aller Schönheit hatte Georgien viele Schattenseiten: Bürgerkrieg, Attentate, und jetzt auch Massengräber.
    Sie tuckerten in einen Regenvorhang. Die Scheibenwischer zogen schwarze Schlieren hinter sich her und reinigten etwa ein Drittel von Lados Gesichtsfeld. »Ein Hoch auf Jossif Stalin, er hat uns das Abwasser hinterlassen«, grübelte er. »Guter Sohn Georgiens. Unser berühmtester Exportartikel, besser als Wein.« Lado grinste sie unaufrichtig an. Er wirkte beschämt und abwehrend zugleich.
    Kaye konnte nicht umhin, ihn aus der Reserve zu locken.
    »Er hat Millionen ermordet«, murmelte sie. »Er hat Dr. Eliava umgebracht.«
    Lado starrte grimmig durch die Scheibe und versuchte zu sehen, was hinter der kurzen Kühlerhaube lag. Er schaltete herunter, bremste und umfuhr ein Loch, in dem eine Kuh Platz gehabt hätte. Kaye gab ein leises Stöhnen von sich und krallte sich an der Seite ihres Sitzes fest. Es gab auf diesem Stück keine Leitplanken, und neben der Straße gähnte ein steiler Abgrund von mindestens dreihundert Metern; unten floss ein Gletscherschmelzbach. »Es war Beria, der Dr. Eliava zum Volksfeind erklärte«, sagte Lado nüchtern, als erzähle er eine alte Familiengeschichte. »Beria war damals in Georgien der Leiter des KGB, Provinzarschloch und Kinderschänder, kein großes Tier in ganz Russland.«
    »Er war Stalins Mann«, erwiderte Kaye und versuchte, nicht an die Straße zu denken. Sie begriff nicht, wie die Leute in Georgien noch auf Stalin stolz sein konnten.
    »Alle waren Stalins Männer, oder sie kamen ums Leben«, sagte Lado. Er zuckte die Achseln. »Als Chruschtschow sagte, Stalin sei schlecht, gab es hier großen Stunk. Was wissen wir schon? Er hat uns so viele Jahre lang auf so vielfältige Art aufs Kreuz gelegt, dass wir dachten, er verhalte sich nicht anders als ein Ehemann.«
    Das amüsierte Kaye. Lado nahm ihr Grinsen als Ermutigung.
    »Manche wollen immer noch unter dem Kommunismus wieder zu Wohlstand kommen. Oder wir holen den Wohlstand aus der Scheiße.« Er rieb sich die Nase. »Ich bin für die Scheiße.«
    Während der folgenden Stunden fuhren sie in weniger Furcht erregende Vorgebirge und Ebenen hinunter. Auf den Wegweisern in verschnörkelter georgischer Schrift sah man die rostigen Pocken Dutzender von Schusslöchern. »Noch eine halbe Stunde, mehr nicht«, sagte Lado.
    Der strömende Regen ließ kaum die Grenze zwischen Tag und Nacht erkennen. Als sie an eine Kreuzung und die Abzweigung zu der Kleinstadt Gordi kamen, schaltete Lado die trüben Scheinwerfer des Fiat ein.
    Vor der Kreuzung, beiderseits der Straße, standen zwei gepanzerte Mannschaftswagen. Fünf russische Friedensschützer mit Regenmänteln und runden Nachttopfhelmen bedeuteten ihnen mürrisch, sie sollten halten.
    Lado brachte den Fiat in leichter Schräglage am Straßenrand zum Stehen. Ein paar Meter weiter, genau auf der Kreuzung, erkannte Kaye eine weitere Grube. Um sie zu umgehen, würden sie über die Böschung fahren müssen.
    Lado kurbelte das Fenster herunter. Ein russischer Soldat mit rosigen Chorknabenwangen, höchstens neunzehn oder zwanzig Jahre alt, spähte ins Innere. Von seinem Helm tropfte Wasser auf Lados Ärmel. Lado unterhielt sich auf Russisch mit ihm.
    »Amerikanerin?«, wollte der junge Russe von Kaye wissen. Sie zeigte ihm ihren Pass, ihre Gewerbelizenzen der EU und der Gemeinschaft der Blockfreien und das Fax mit der Bitte – oder eigentlich dem Befehl –, nach Gordi zu kommen. Der Soldat nahm das Fax, runzelte beim Versuch, es zu lesen, die Stirn und machte es gründlich nass. Dann zog er sich zurück und beriet sich mit einem Offizier, der in der Hecktür des am nächsten stehenden Transportwagens hockte.
    »Die sind nicht gerne hier«, murmelte Lado, »und wir wollen sie auch nicht hier haben. Aber wir haben um Hilfe gebeten … Wem sollen wir einen
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