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Das Darwin-Virus

Das Darwin-Virus

Titel: Das Darwin-Virus
Autoren: Greg Bear
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eingeschrumpften, vertrockneten menschlichen Überresten, sondern auch von dem, was sie in ihrer Fantasie bereits rekonstruierte.
    Sie richtete sich auf und machte Beck durch Winken aufmerksam.
    »Diesen Frauen hat man in den Bauch geschossen«, sagte sie.
    Tötet alle erstgeborenen Kinder. Grausige Ungeheuer. »Es war Mord.« Sie biss die Zähne zusammen.
    »Wie lange ist es her?«
    »Mit dem Alter des Stiefels könnte er ungefähr richtig liegen, wenn er von hier stammt, aber das Grab ist nicht so alt. Dazu sind die Wurzeln an den Grubenwänden zu klein. Nach meiner Schätzung sind die Opfer erst vor zwei oder drei Jahren gestorben. Die Erde hier sieht trocken aus, aber der Boden enthält vermutlich Säure, und darin lösen sich alle Knochen nach ein paar Jahren auf.
    Und dann der Stoff. Er sieht aus wie Wolle und Baumwolle, das heißt, das Grab ist höchstens ein paar Jahre alt. Wenn es Kunstfasern wären, könnte es älter sein, aber auch dann stammt es aus der Zeit nach Stalin.«
    Beck kam näher und schob seine Maske hoch. »Können Sie uns helfen, bis die anderen hier sind?«, fragte er flüsternd.
    »Wie lange?«, wollte Kaye wissen.
    »Vier, fünf Tage«, erwiderte er. Chikurishvili stand ein paar Schritte entfernt und ließ den Blick zwischen ihnen hin- und herwandern, widerwillig und mit verkrampftem Unterkiefer, als hätten Polizisten sich in einen Familienstreit eingemischt.
    Kaye ertappte sich dabei, wie sie den Atem anhielt. Sie wandte sich ab, trat zurück, sog ein wenig Luft ein and fragte: »Wollen Sie Ermittlungen wegen Kriegsverbrechen einleiten?«
    »Die Russen finden, wir sollten es tun«, sagte Beck. »Sie sind ganz scharf darauf, die neuen Kommunisten zu Hause in Misskredit zu bringen. Ein paar alte Gräueltaten könnten ihnen frische Munition liefern. Wenn Sie raten sollten, was würden Sie sagen: zwei Jahre, fünf, dreißig, oder wie viele?«
    »Weniger als zehn. Vermutlich noch nicht einmal fünf. So etwas habe ich schon lange nicht mehr gemacht«, sagte sie. »Ich kann nur wenig tun. Ein paar Proben nehmen, Gewebestücke. Natürlich keine vollständige Obduktion.«
    »Das ist tausend Mal besser, als wenn die Leute aus dem Ort hier herumpfuschen«, erwiderte Beck. »Von denen traue ich keinem. Ich bin mir noch nicht einmal sicher, ob wir den Russen trauen können. Die haben alle dieses oder jenes Schäfchen ins Trockene zu bringen.«
    Lado hörte unbewegt zu und sagte nichts, aber er übersetzte auch nicht für Chikurishvili.
    Kaye spürte das kommen, was sie die ganze Zeit geahnt und gefürchtet hatte: Die alte, düstere Stimmung kroch in ihr hoch.
    Sie hatte geglaubt, sie könnte durch die Reise und die Trennung von Saul die schlechten alten Zeiten, die schlechten Gefühle abschütteln. Als sie den Ärzten und Assistentinnen am Eliava-Institut bei der Arbeit zusah, hatte sie sich befreit gefühlt – sie taten mit so wenig Mitteln so viel Gutes und holten buchstäblich Gesundheit aus der Gosse. Das war die prächtige, glänzende Seite Georgiens. Und jetzt … die Kehrseite der Medaille. Papa Josip Stalin oder ethnische Säuberer, Georgier, die Armenier und Ossetier vertreiben wollen, Abchasen, die Georgier loswerden möchten, Russland schickt Soldaten, Tschetschenien mischt sich ein. Ein schmutziger kleiner Krieg zwischen alten Nachbarn mit altem Groll.
    Es würde für sie nicht gut laufen, aber ablehnen konnte sie nicht.
    Lado legte das Gesicht in Falten und starrte Beck an. »Es waren werdende Mütter?«
    »Die meisten«, antwortete Beck. »Und ein paar waren vielleicht auch werdende Väter.«
3
    Alpen
    Das Höhlenende war sehr eng. Tilde lag mit angezogenen Beinen unter einem niedrigen Felsvorsprung und sah Mitch vor denen knien, deretwegen sie hergekommen waren. Hinter ihm kauerte Franco.
    Mitch hatte den Mund halb offen wie ein erstaunter kleiner Junge. Eine Zeit lang brachte er kein Wort heraus. Hier hinten in der Höhle war es völlig still. Nur der Lichtstrahl bewegte sich, als er mit der Taschenlampe an den beiden Gestalten auf und ab leuchtete.
    »Wir haben nichts angerührt«, sagte Franco.
    Die geschwärzte Asche, die uralten Überreste von Holz, Gras und Schilf sahen aus, als würden sie beim ersten Lufthauch zerfallen, aber sie bildeten immer noch die Reste eines Feuers. Der Haut der beiden Körper war es besser ergangen. Einen so verblüffenden Fall von Tiefkühl-Mumifizierung hatte Mitch noch nie gesehen. Das Gewebe war hart und ausgedörrt – die trockene, eiskalte Luft
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