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Das Darwin-Virus

Das Darwin-Virus

Titel: Das Darwin-Virus
Autoren: Greg Bear
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hatte alle Feuchtigkeit herausgesogen. Unterhalb der Köpfe, wo sie einander zugewandt lagen, waren Haut und Muskeln kaum eingeschrumpft und sofort fixiert worden. Die Gesichtszüge wirkten fast lebendig, nur die Augenlider waren aufgerissen, und die Augen darunter, eingeschrumpft und dunkel, sahen unsagbar schläfrig aus. Auch die Körper waren gut erhalten; nur an den Beinen erschien das Fleisch runzelig und nachgedunkelt, vielleicht weil zwischendurch aus dem vorderen Teil des Schachtes ein Lüftchen hereingedrungen war. Die Füße waren verschrumpelt und schwarz wie getrocknete kleine Pilze.
    Mitch konnte nicht glauben, was er hier sah. Ihre Haltung hatte vielleicht gar nichts Ungewöhnliches – sie lagen auf der Seite, ein Mann und eine Frau, die sich im Tod angesehen hatten und schließlich erfroren waren, als die Asche ihres letzten Feuers erkaltete. Es war nichts Überraschendes an den Händen des Mannes, die sich zum Gesicht der Frau ausstreckten, nichts Überraschendes an den Armen der Frau, die nach unten gestreckt vor ihr lagen, als hätte sie sich an den Bauch gegriffen. Nichts Außergewöhnliches an dem Tierfell zwischen ihnen oder an dem zweiten Fell, das zerknüllt neben ihnen lag, als habe der Mann es beiseite gestoßen.
    Am Ende, als das Feuer erloschen war und bevor sie erfroren, war es dem Mann zu warm geworden, und er hatte das Fell weggeschoben.
    Mitch blickte auf die verschränkten Finger der Frau hinunter und schluckte. Das Gefühl, das in ihm hochstieg, konnte er weder erklären noch begründen.
    »Wie alt?« Mit ihrer Frage unterbrach Tilde seine Konzentration. Ihre Stimme klang nüchtern, klar und vernünftig, fast schneidend.
    Mitch zuckte zusammen. »Sehr alt«, sagte er leise. »Ja, aber so wie der Ötzi?«
    »Nicht so wie der Ötzi«, erwiderte Mitch. Fast hätte seine Stimme versagt.
    Die Frau war verletzt. Seitlich, in Hüfthöhe, hatte man ihr ein Loch in den Bauch gestoßen. Es war von Blutflecken umgeben, und es kam Mitch so vor, als könne er auch auf dem Felsen unter ihr noch Flecken erkennen. Vielleicht war das die Todesursache.
    In der Höhle gab es keine Waffen.
    Er rieb sich die Augen, um den kleinen, gezackten weißen Mond beiseite zu drängen, der ihn abzulenken drohte. Dann blickte er noch einmal in die Gesichter mit ihren kurzen, breiten, schräg nach oben weisenden Nasen. Der Unterkiefer der Frau hing herab, bei dem Mann war er geschlossen. Die Frau hatte im Sterben nach Luft geschnappt. Das konnte Mitch zwar nicht mit Sicherheit behaupten, aber er stellte seine Beobachtung nicht infrage. Es passte.
    Erst jetzt schob er sich vorsichtig hinter die Gestalten. Mit langsamen Bewegungen, die gebeugten Knie ein paar Zentimeter über der Hüfte des Mannes, robbte er vorwärts.
    »Sie wirken alt«, sagte Franco, nur um die Stille der Höhle zu durchbrechen. Seine Augen funkelten. Mitch blickte zu ihm hinüber und dann nach unten auf das Profil des Mannes.
    Dicke Brauenwülste, breite, flache Nase, fliehendes Kinn. Kräftige Schultern, Verjüngung nach unten bis zu einer relativ schlanken Taille. Dicke Arme. Die Gesichter waren glatt und nahezu unbehaart. Vom Hals an abwärts jedoch war die Haut von einem feinen, dunklen Fell bedeckt, das nur bei genauem Hinsehen zu erkennen war. An den Schläfen waren die kurz geschnittenen Haare offenbar in einem bestimmten Muster rasiert worden, eine fachkundige Barbierarbeit.
    So viel zu den zottigen Rekonstruktionen der Museen.
    Die kalte Luft schwer in der Nase, beugte Mitch sich näher hinüber und stützte sich dabei mit der Hand an der Höhlendecke ab.
    Zwischen den Körpern lag so etwas wie eine Maske, eigentlich waren es zwei Masken – die eine neben dem Mann und halb unter ihm begraben, die andere unter der Frau. Ihre Ränder sahen aus, als seien sie zerrissen worden. Beide hatten Öffnungen für Augen und Nase, die Nachbildung einer Oberlippe – alles von feinen Haaren bedeckt –, und darunter einen noch stärker behaarten Lappen, der wohl einst um Hals und Unterkiefer gewickelt war.
    Wahrscheinlich waren sie von den Gesichtern gerissen und weggeworfen worden, aber an den Köpfen fehlte keine Haut.
    Die Maske neben der Frau war anscheinend noch mit dünnen Fasern wie der Bart einer Muschel mit Stirn und Schläfen verbunden.
    Mitch wurde klar, dass er sich hier auf die kleinen Rätsel konzentrierte, um eine große Unmöglichkeit zu umschiffen.
    »Wie alt sind sie?«, fragte Tilde noch einmal. »Kannst du das sagen?«
    »Ich
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