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Das Darwin-Virus

Das Darwin-Virus

Titel: Das Darwin-Virus
Autoren: Greg Bear
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egal.
    Er wollte einfach nur herunter von dem Berg, in ein warmes Bett, schlafen und abwarten, bis die quälenden Schmerzen, die ihm so vertraut und doch immer wieder neu waren, nachließen.
    Sterben war auch eine Möglichkeit, und sie war nicht ohne Reiz.
    Geschickt seilte Franco ihn an. »Komm, alter Junge«, sagte der Italiener und ruckte dabei freundlich am Seil. Mitch taumelte vorwärts und ballte neben dem Körper die Fäuste, um sich nicht gegen den Kopf zu hämmern. »Den Pickel«, sagte Tilde. Franco zog Mitchs Eispickel aus seinem Gürtel, wo er ständig den Beinen in die Quere kam, und steckte ihn in den Rucksack. »Dir geht’s nicht gut«, sagte Franco. Mitch hielt die Augen krampfhaft geschlossen; die Dämmerung war voller Blitze, und der Schmerz war wie Donner, der mit jedem Schritt seinen Kopf zermalmte. Tilde ging voraus, und Franco folgte ihm auf den Fersen. »Wir nehmen einen anderen Weg«, sagte Tilde. »Es friert böse, und die Brücke ist brüchig.«
    Mitch öffnete die Augen. Der Grat war eine kohlrabenschwarze Messerschneide vor dem reinen Ultramarin des Himmels, das zu sternenübersätem Dunkel wurde. Jeder Atemzug war kälter und schwerer als der vorige. Er schwitzte heftig.
    Wie ein Automat trottete er dahin, versuchte einen mit Firnschneeflecken übersäten Felsabhang hinabzusteigen, rutschte aus und stürzte ins Seil, zog Franco ein paar Meter die Böschung hinunter. Der Italiener beklagte sich nicht, sondern seilte Mitch erneut fest und tröstete ihn wie ein Kind. »Alles klar, alter Freund.
    So ist es besser. So ist es besser. Pass auf, wo du hintrittst.« »Ich kann nicht mehr, Franco«, flüsterte Mitch. »Ich hatte seit über zwei Jahren keine Migräne mehr. Ich habe nicht mal Tabletten mitgenommen.« »Macht nichts. Achte nur auf deine Füße und tu was ich dir sage.« Franco rief Tilde etwas zu. Mitch spürte, dass sie in der Nähe war, und blickte in ihre Richtung. Ihr Gesicht war von Wolken eingerahmt, aber auch von seinen eigenen Lichtern und Funken. »Schnee im Anmarsch«, sagte sie. »Wir müssen uns beeilen.« Sie sprachen Italienisch und Deutsch, und Mitch glaubte, sie berieten darüber, ob sie ihn hier im Eis zurücklassen sollten.
    »Ich kann gehen«, sagte er. »Ich kann noch laufen.« Also gingen sie weiter über den Gletscherabhang, begleitet vom Geräusch des Eises, das als uralter Fluss im Abstieg langsam weiterströmte, splitterte und knatterte, ratterte und knackte. Es hörte sich an, als applaudierten irgendwo riesige Hände. Der Wind frischte auf, und Mitch wandte sich davon ab. Franco drehte ihn wieder um und schob ihn weniger sanft weiter. »Keine Zeit für Dummheiten, alter Freund. Weitergehen.«
    »Ich versuch’s doch.«
    »Einfach gehen.« Der Wind drückte sich wie eine Faust in sein Gesicht. Er lehnte sich dagegen. Eiskristalle stachen ihm in die Wangen, und als er versuchte, die Mütze hochzuziehen, fühlten sich die Finger in den Handschuhen an wie Würste. »Er schafft es nicht«, sagte Tilde, und Mitch sah, wie sie, eingehüllt vom Schnee, um ihn herumging. Plötzlich flog der Schnee waagerecht, und alle drei zuckten zusammen, als der Wind sie packte. Francos Taschenlampe beleuchtete Millionen Flocken, die in horizontalen Streifen vorüberhuschten. Sie überlegten, ob sie ein Schneebiwak bauen sollten, aber das Eis war zu hart, und das Graben würde zu lange dauern. »Weiter! Bloß runter!« schrie Franco in Tildes Richtung, und sie willigte schweigend ein. Mitch wusste nicht, wohin sie gingen, und es war ihm auch ziemlich gleichgültig. Franco fluchte ständig auf Italienisch, aber der Wind war lauter, und Mitch, der sich voranschleppte, die Stiefel hochzog und wieder absetzte, der seine Steigeisen einsetzte und sich aufrecht zu halten versuchte, Mitch merkte nur an dem straffen Seil, dass Franco noch da war. »Die Götter sind zornig!« rief Tilde, ein halb triumphierender, halb scherzhafter Schrei voller Erregung und sogar Begeisterung. Franco musste gestürzt sein, denn plötzlich spürte Mitch von hinten ein heftiges Zerren. Irgendwie bekam er den Pickel zu fassen, und als er hinüberging, fiel er auf den Bauch. Aber sein Wille war noch so klar, dass er den Pickel einsetzte und das Abrutschen bremste. Einen Augenblick lang sah es aus, als hinge Franco ein paar Meter weiter unten an der Böschung im Seil.
    Mitch blickte in seine Richtung. Die Lichter waren aus seinem Gesichtsfeld verschwunden. Irgendwie fror er – ihm war richtig kalt, und das
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