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Fremdkörper

Fremdkörper

Titel: Fremdkörper
Autoren: Miriam Pielhau
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1. 
Hochzeitstag
    Auf der Spüle steht ein Teller mit Essensresten. Eingetrocknete, plastikharte Nudeln, rötlich-braune Soße und fleischige Krümel. Kombiniere, kombiniere: Diese Indizien weisen auf die Spaghetti bolo vom Dienstagabend hin. Nicht gestern. Sondern Dienstag vor einer Woche Dienstag. Also: eine hübsche, 8 Tage alte, farblich absolut nicht mehr ansprechende, organische Kruste. Ein Seufzen wogt sich durch meinen Brustkorb. Mein Liebster ist absoluter Experte solcher – ich nenne sie mit dem Humor der Resignation – Projekte. Die Fragestellung und zur wissenschaftlichen Überprüfung freigegebene These ist dabei immer die gleiche: Was passiert wohl mit Biomüll in Raumtemperatur bei ausreichender Sauerstoffzufuhr und der konsequenten Verweigerung von Spülmittel und Schwamm? Auch wenn sich die Antwort (»Vergammeln!«) nicht verändert hat, seit wir uns Träume, Bett und Miete teilen, nimmt diese Versuchsreihe irgendwie kein Ende. Mich macht das kirre. So was. Und so kommt es, wie es in einem anständigen Haushalt halb zehn abends in Deutschland kommen muss: Das Weib meckert. Laut. Und lang. Und vor allem langweilig. Weil er die Sätze schon so gut kennt, dass er sie mitsprechen kann. Taktisch total unklug finden sich im Schimpfschauer überproportional oft die Worte »immer« und »nie« und »du«. Die ganzen BRIGITTE-Dossiers über harmonische Partnerschaften, sie haben nichts genützt. Natürlich nicht. Die Dame des Hauses echauffiert sich also aufs Feinste. Dabei weiß sie genau, dass das gar nichts bringt. Außer Ärger. Und zwar ihr. Und das auch noch doppelt. Wut, über seine Unordentlichkeit und ihre Kleinkariertheit. Danach geht es weiter wie immer. Sie grunzt. Er schmunzelt. Beide jeweils ein wenig vor sich hin. Dann nimmt er sie voller Liebe in den Arm und gelobt hoch und heilig Besserung. Das Versprechen hält. Zumindest bis zur nächsten biochemischen Studie. Zwei wie ganz schön viele auf der Welt. Ein Mittwochabend im frühen Frühling. Eigentlich alles ziemlich normal. Wenn da nicht diese Un-Normalität in ihrer Brust wäre.
    Während der Groll sich trollt, macht er Platz für Gedanken an morgen. Morgen ist der 27. März. Und der ist besonders. Besonders schön. Aber auch besonders aufregend. Schön, weil wir an diesem Tag vor einigen Jahren geheiratet haben. Herrlich heimlich. In Las Vegas. Ohne Elvis. Mit Herzklopfen. Zwei, die nicht aus dem Spiele-Paradies abgeholt werden wollten. Und aufregend wird der morgige Tag, weil die Ärztin dann sagt, was das für ein dummes Ding ist, das mir seit geraumer Zeit Kummer macht.
    Der Tag beginnt – natürlich – da, wo der vorangegangene aufgehört hat: extrem gemütlich im Bett. Wir haben uns beide heute freigenommen. Beim Versuch, zu planen, wie die nächsten Stunden schön und möglichst schön romantisch gestaltet werden können, muss ich mir ziemlich schnell eingestehen: Meine Gedanken sind so klar wie die WG-Fenster meines Bruders. Gar nicht. Ich bin ziemlich zerzaust – auf wie im Kopf. Heute um 14 Uhr kann ich das Ergebnis meiner Biopsie, also der Gewebeprobe, erfragen. Um 14 Uhr. Erst. Es ist jetzt 8 Uhr. Das bedeutet noch grauenvolle sechs Stunden der auf die Probe gestellten Geduld vor mir. Bäh. Heute fühlt sich Warten so endlos und quälend lang an, wie als 5-jähriges Kind das Warten aufs Christkind. Wenigstens liefen damals super Sachen im Fernsehen. Mein TV-Überbrückungsprogramm dagegen ist jämmerlich. Ich muss mir Menschen ansehen, die sich unhöfliche Sachen mit grammatikalisch fragwürdiger Syntax an den Kopf werfen. Oder Seifenopern, die das auslösen, was Seife so tut, wenn man sie schluckt: Brechreiz.
    Daher nehmen sich meine Gedanken die ihnen zustehende Freiheit und schweifen ab. Die vergangenen Tage gehen mir durch den Kopf. Und, sagen wir mal so, es gab wirklich angenehmere in meinem Leben. Gestern musste eine Gewebeprobe aus der Brust entnommen werden, weil auf dem zuvor angefertigten Mammografie-Bild zwar kein Knoten, aber verdächtige Verästelungen zu sehen waren. DCIS – ein duktuales Carcinoma in situ, wie wir schnell lernen müssen. Eine Karzinom-Vorstufe. Nichts Gutes, aber kein Grund, den Glauben daran zu verlieren. Eine Vorstufe. Noch kein »echter« K ... Das sage ich seit dem Befund meinem Herzenskerl immer wieder mal laut – und mir selbst innerlich, leise tausendmal hintereinander. Auch heute. Erst recht jetzt. Dann ist es endlich halb zwei. Ich befinde, dass ich getrost eine halbe Stunde zu
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