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Fremdkörper

Fremdkörper

Titel: Fremdkörper
Autoren: Miriam Pielhau
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nervtötendes Nachfragen erfahren sollte: Schon damals befürchten alle das Schlimmste. Die Prinzessin würde unglücklicherweise nicht glücklich bis an das Ende ihrer Tage leben.
    Zunächst muss die Prinzessin sich allerdings einmal mehr ganz und gar unmajestätisch bäuchlings in die Horizontale begeben. Die betroffene Brust entblößt und durch eine Öffnung im Tisch dem Arzt zur Gewebeentnahme freigegeben. Immer wieder knallt die spießähnliche Gerätschaft in mein weibliches Weichteil, wovon ich (Halleluja, Betäubung) weder etwas spüre noch sehe. Aber die Geräusche reichen, um den Vorhang in meinem Kopfkino zu heben. Der Film, der sich da abspielt, kreist um eine naive, gänzlich unmedizinische Frage: »Kann der mit dieser Kanüle nicht die ganzen vermaledeiten X- und Ypsilon-Äste raussaugen, wenn er schon so rumstochern muss? Dann wäre dieses Aktenzeichen wenigstens gelöst.« Der Wunsch ist Vater der Idee. Doch der Herr im weißen Kittel ist nicht der Weihnachtsmann und die Liege hier kein Gabentisch. Und so bleibt es beim enttäuschten Gedanken an eine unerfüllte Bitte. Das Pieks-Prozedere dauert glücklicherweise nicht wirklich lang. Die Assistentin bemüht sich um Aufmunterung, als sie abschließend sagt: »Na ja, wenn es denn etwas Bösartiges sein sollte, dann sind Sie ja wenigstens noch früh dran, nicht?« Dankeschön. Das ging daneben. Wirkung fürchterlich verfehlt. Bösartig? Ich will nix Bösartiges. So steht es nicht in meinem Drehbuch. Das hier war bis jetzt mein Märchen. Und ich möchte Bestimmer sein, was das Ende angeht. Und mein »Ende aller Tage«, an das ich gefälligst glücklich und zufrieden heranleben will, ist jetzt schon mal gar nicht gekommen. Punkt.
    Punkt. Punkt. Komma. Strich. Strich allerdings mit Mundwinkeln nach unten. Wieder warten. Meine Geduld wird strapaziert. Erstaunlicherweise und mit einer den Umständen entsprechend verwundernden Gelassenheit halte ich die zähen 24 Stunden ganz gut aus. Bis jetzt. Herzklopfen bis zur Gurgel.
    Am anderen Ende der Leitung geht jemand ans Telefon. Mein Optimismus ist in dieser Sekunde einen Hauch größer als die Furcht vor einer Horror-Diagnose. Dementsprechend energetisch frage ich: »Na, Frau Dr. Gonzalez – was haben Sie denn Schönes gefunden in meiner Brust?« Sie zögert. Und raunt: »Wollen wir das nicht um 14 Uhr hier bei mir besprechen?« Das körpereigene Martinshorn nimmt seinen Betrieb auf. Und mein Herz beginnt zu rennen. Warum hat sie nicht einfach gesagt: »Nichts. Wir haben nichts gefunden. Es ist alles gut. Der Verdacht war unbegründet. Schönes Leben noch, Prinzessin. Glücklich und zufrieden, möglichst.« Das heißt noch nichts. Das heißt alles noch nichts, hämmert es in mir. Dennoch spüre ich eine ausgewachsene Hysterie aufkommen. Meine Stimmbänder hat sie schon erreicht, als ich ziemlich luftlos krächze: «Sagen Sie mir wenigstens eine Tendenz ...« (Bescheuert. Es gibt ja nur schwarz oder weiß. Aber es ist längst kein Einzelfall in der Menschheitsgeschichte, was ich gerade erlebe, dass die Angst den Verstand frisst. Restlos. Auch die Krümel.) Die Pause fühlt sich lang an. Sehr lang. Herzlich willkommen zu einem jener Momente im Leben, die man sonst nur aus Filmen kennt. Die Zeit scheint stehen zu bleiben. Alles verlangsamt sich. In mir und um mich. Und gleichzeitig wird alles schwer. Die Beine, der Hörer in der Hand, der eigene Atem. Marie Gonzalez scheint selbst etwas um Fassung zu ringen. Sie räuspert sich: »Es ist nicht gutartig.«
    Rrrrummmms. Der Unfall ist eingetreten. Hat es außer mir noch jemand gesehen? Ich habe mich eben in die Fahrbahnmitte der A2 zwischen Berlin und Hannover gestellt, Höhe Magdeburg, zur Hauptverkehrszeit. Ein polnischer Laster hat mich frontal an seinen Kühlergrill geklatscht. Und da klebt sie nun, die Masse Mensch, die mal Miriam war. Denn mehr ist von meinem Ich gerade nicht mehr übrig. Der Fall, der nicht eintreten durfte. Mein persönlicher, privater, ureigener Un-Fall. » ... Nicht gutartig ... nicht gutartig ... nicht gutartig ...« Das verdammte Echo im Kopf hört nicht auf. Ich gebe den Hörer aus der Hand, starre vor mich hin und fühle mich plötzlich unglaublich leer. Das Einzige, was ich in diesem Hohlraum spüre, ist ein immer stärker werdender Schmerz. Wunde, entzündete, blutende Innenwände meiner Körperhülle. Es puckert. In der Brust. Im Kopf. In den Ohren. Ich höre und fühle nichts mehr. Außer Sturmwellen aus Blut, die mich fluten. Auf
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