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Fremdkörper

Fremdkörper

Titel: Fremdkörper
Autoren: Miriam Pielhau
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früh dran sein darf und wähle die Nummer meiner Radiologin. Nach außen mache ich mein bestes Es-wird-schon-nichts-sein-Gesicht. Ich weiß nicht, wie überzeugend meine Vorstellung ist, vertraue aber auf mein darstellerisches Talent, während sich in mir Angst und Hoffnung ein packendes Kopf-an-Kopf-Rennen liefern. Es kommen durchaus Ellenbogen zum Einsatz.
    Während es tutet, muss ich an den Knubbel denken, den ich vor zwei Wochen in meiner Brust gefühlt, dem ich aber keine weitere Bedeutung beigemessen habe. Es lebe die Devise: »Was ich nicht wichtig nehme, ist es auch nicht.« Das Gesicht meiner Internistin taucht vor mir auf. Nicht besonders glücklich. Sie hatte bei mir vor einigen Tagen, kurz nach der Entdeckung des Knubbels, aufgrund meiner stark geschwollenen Lymphknoten am Hals eine Art Pfeiffer’sches Drüsenfieber diagnostiziert. (Das war zu meiner Studentenzeit sehr verbreitet. Jaja. Weil man als Student die Lebensabschnittsgefährten pro Semester zwei bis sieben Mal wechselt. Schon klar. Was hatte das bitte schön jetzt in meiner schon vor Langem eingeläuteten postakademischen Ära zu suchen?) Als ich ihr von meinem Tastbefund in der Brust berichte, bleibt das fest einkalkulierte: »Ach, das ist nichts«, aus. Stattdessen schickt sie mich zu meiner Gynäkologin. »Am besten heute noch.« Die sucht per Ultraschall nach der Ursache meines Übels. Findet nichts – und genau deswegen, dass ich dringend zur Mammografie gehen soll. Noch am selben Tag. Die plötzliche Eile allerorts hätte mich stutzig werden lassen müssen. Doch das schier endlose Vertrauen in mein persönliches Happy End wirkt wie ein Tranquilizer für die Seele. Spitzensystem mit prima Sicherheitsprogramm, unser Körper. Kaum etwas, das mich aus der Ruhe bringen kann. Noch nicht einmal dieser doch recht würdelose und durchaus schmerzvolle Vorgang des Brustscreenings, dem ich mich plötzlich ausgesetzt sehe. Meine schönen Stücke Fraulichkeit werden also abwechselnd zwischen diese Plexiglas-Platten gequetscht, bis sie trotz ihrer Fülle den flachestmöglichen Zustand erreicht haben. Das sieht nicht nur scheußlich aus, sondern tut mindestens genauso scheußlich weh. Allein: das Wissen um den Sinn dieser Übung macht die Sache aushaltbar. Die Bilder meines Busens machen auf den ersten Blick einen fantastischen Eindruck. Allerdings leider nur auf mich. In den Zügen der Ärztin lese ich Besorgnis. Das gute, gesunde Gewebe sieht gleichmäßig scheckig-fleckig aus. Eine Mammografie-Sinfonie in dunkel- und hellgrau. Was ihr nicht gefällt, das sind die weißen, zackigen, Ypsilon-ähnlichen Linien. Mikroverkalkungen. Aha. Zur Sicherheit soll das Gewebe probiert werden. Wieder geht alles ganz schnell. Termin schon am übernächsten Tag. Die Stunden jener Ungewissheit hätten quälend sein können. Waren sie aber nicht. Unerschütterlich meine Überzeugung, dass das alles gut ausgeht. Was soll denn schon sein? Sind wir nicht alle ein bisschen Wonderwoman? Bis jetzt immer unverwundbar. Selten beim Arzt. Nie wirklich krank. Ich treibe Sport, esse gesund und gut und habe auch keine familiäre Vorbelastung bei diesem Thema. Im Gespräch sage ich zu Thom: »Außerdem bin doch noch viel zu jung für ... für ... für diese Sache.« Versuch der Beruhigung, bei dem es mir schwerfällt, das Wort auszusprechen. Das fiese K-Wort. Das für eine Krankheit steht, mit der ich allzu oft kahle Köpfe, fahle Gesichter und den Tod in Verbindung gebracht habe. Das passt nicht in das Bild, das ich mir von meiner kleinen Welt gemalt habe. Denn im Pielhau’schen Paradies fließen Milch und Honig in Strömen, Bambis dopsen wie Doktor Schnaggels über Felder und Wiesen und alle sind glücklich und gesund. Diese K-Krankheit aber, die ist furchtbar. Und furchtbar weit weg. Menschen bekommen leider K ... . Andere. Aber doch nicht ich.
    Am Tag der Biopsie laufe ich mit dem Selbstvertrauen wie nach einem Bad in Drachenblut in der Klinik auf. Erst im Wartezimmer kriechen langsam Zweifel an meiner Wird-schon-Theorie in mir nach oben. Warum ist die Lächelquote der mich betreuenden Ärzte in den vergangenen Tagen so niedrig? Warum muss alles so schnell gehen? Warum hat mich bis jetzt keiner entwarnt oder ermutigt? Und: Warum hat noch keiner gesagt, was auch im Internet steht, dass nämlich 80 Prozent aller Biopsien einen gutartigen Befund liefern? (Und damit bestimmt natürlich unbedingt auch bei mir.) Was ich zu diesem Zeitpunkt nicht weiß, später aber durch vermutlich
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